Catch22 hat geschrieben: ↑Mittwoch, 31. August 2022, 18:28:05
Vielleicht regt ja dies zu weiterführenden Überlegungen an:
• Welche Rückschlüsse auf das Tatmotiv erlauben Planungstiefe, Organisationsgrad und Planungshorizont?
• Gibt es ein Alleinstellungsmerkmal als Schlüssel für einen Lösungsansatz?
1. Von Planungstiefe und Organisationsgrad zum Tatmotiv?
2. Planungshorizont und Eskalation
3. Mobilitätsfrage und Aktionsradius rund ums Hölzl
4. Erste Nachtatphase 18 bis 20 Uhr – ein Alleinstellungsmerkmal der Tat?
5. Zwischenfazit
6. Geigentheorie und erste Nachtatphase
7. Schlussbemerkung
1. Von Planungstiefe und Organisationsgrad
zum Tatmotiv?
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Von langer Hand geplant dürfte die Tat nicht gewesen sein. Denn der Täter konnte nicht schon Tage zuvor wissen, wann sich die Langendonks in der Region um Traunstein oder gar bei Litzlwalchen am Hölzl aufhalten würden. Nichts Gegenteiliges ist bekannt. Somit kommt neben einer spontanen Tat eine allenfalls sehr kurzfristige Planung in Betracht. Der jedoch nicht unerhebliche Organisationsgrad (Verbringung, Brandstiftung, Taxifahrten) lässt eher auf eine zumindest in ihren Grundzügen geplante und strukturierte als auf eine gänzlich spontane Tat schließen. Ein spontan handelnder Täter wäre nach den blutigen Eindrücken seiner Tat (und womöglich einer Eskalation) in vielen Fällen durch die Organisation seines Nachtatverhaltens überfordert.
Für einen persönlichen, immateriellen Beweggrund (wie etwa Eifersucht, Neid, Hass, Rache) wurden auch nach 25 Jahren im Umfeld der Opfer keinerlei Anhaltspunkte erkennbar. (Würde ein derart gelagertes Motiv eher zu einer spontanen oder einer geplanten Tat führen?) Deshalb darf ein solcher persönlicher und immaterieller Beweggrund hintangestellt werden.
Auch ein gewöhnlicher Raubüberfall, bei dem ein Täter mehr oder weniger auf gut Glück auf Bargeld und Wertsachen abzielt, tritt m. E. in den Hintergrund. Ziel der Tat und damit Tatmotiv muss aus Sicht des Täters ein ganz individuelles gewesen sein, das dem Täter schon zuvor – zumindest in seinem groben Umfang – bekannt gewesen und als lohnend erschienen sein musste. (Also nicht Bargeld oder Wertsachen in ganz allgemeinem Sinne.)
Damit bleiben als Tatmotiv in der engeren Wahl:
• ein bestimmter größerer Bargeldbetrag,
• bestimmte Schmuckstücke oder
• bestimmte Wertgegenstände (Geige?).
2. Planungshorizont und Eskalation
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Wie weit reichte der Planungshorizont des Täters?
Wäre zunächst nur ein Betrugsdelikt geplant gewesen, mit einem möglicherweise erforderlich werdenden Raub aber gerechnet worden (daher die mitgeführte Schusswaffe), dann hätten die Opfer überlebt und wären Tatzeugen geworden. Diese Option konnte ein planender Täter nur dann hinnehmen, wenn er sicher sein konnte, dass ihn die Opfer nicht identifizieren würden. Andernfalls blieb dem Täter von Anfang an nur die Möglichkeit eines Doppelmords.
Also: Kannten sich Täter und Opfer, etwa von einer Begegnung im Restaurant oder anderswo? Waren die Langendonks mit dem Täter verabredet und hielt der Täter den Kommunikationsweg einer Verabredung für rekonstruierbar?
Falls ein beabsichtigter Betrug oder Raub spontan zum Doppelmord eskaliert, ruft dies beim Täter sehr wahrscheinlich panisches Verhalten hervor. Im Fall Langendonk aber zeigt der Täter eine besondere Kaltblütigkeit: Mit Kehlschnitten bringt er seine Bluttat zu Ende, um sicherzugehen, dass seine Opfer wirklich tot sind. Dies deutet darauf hin, dass von vornherein ein vorsätzliches Tötungsdelikt einkalkuliert war – etwa weil die Opfer den Täter hätten identifizieren können. Auch im weiteren Verlauf handelt der Täter nicht panisch überstürzt, sondern besonnen.
3. Mobilitätsfrage und Aktionsradius
rund ums Hölzl
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Wie mobil war der Täter? Wie gelangte er an den Tatort?
Falls Täter und Wohnmobilverbringer ein und dieselbe Person sind, mag es weniger wahrscheinlich sein, dass er als angestammter, regelmäßiger und häufiger Bahnkunde (wie sich der Taxifahrgast dargestellt haben soll) über ein eigenes Fahrzeug verfügte. Kam er mit einem geliehenen Fahrzeug, per Fahrrad, per Bus, zu Fuß oder wurde er von einem Dritten an den Tatort chauffiert? Von dem Verkehrsmittel hängt der Aktionsradius ab, den der Täter nach der Tat bis zur Abfahrt um 20 Uhr nach Altenfurt hatte.
4. Erste Nachtatphase 18 bis 20 Uhr –
ein Alleinstellungsmerkmal der Tat?
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Besondere Bedeutung kommt den zwei Stunden zwischen 18 und 20 Uhr zu.
Unmittelbar nach der Tat war der Täter durch Ohrenzeugen einem eklatanten Entdeckungsrisiko ausgesetzt. Dies musste dem Täter bewusst gewesen sein. Hat er dieses Risiko bewusst in Kauf genommen? Oder hat er sich erst einmal versteckt um abzuwarten, was passieren würde? Wo aber hätte er sich in Tatortnähe verbergen können, um vor einem sofortigen Polizeieinsatz sicher zu sein? Effektiv: nirgends.
Die bewusste Inkaufnahme des beachtlichen Entdeckungsrisikos unterstreicht die Kaltblütigkeit des Täters – und spricht für Organisationstalent und gewisses planerisches Können.
Entscheidend jedoch ist die Frage nach dem Beweggrund des Täters, sich einem derart hohen Risiko auszusetzen. Mit einem banalen „Aufräumen“ des Tatorts ist dieser Beweggrund nicht plausibel erklärbar (zumal eine effektive Spurenbeseitigung ohnehin nicht gelang). Auch einen Wechsel seiner etwa mit Blut verschmutzten Kleidung hätte der organisationstalentierte Täter später auf dem Weg Richtung Nürnberg erledigen können – erst einmal aber: weg vom Tatort!
Vielmehr muss hier aus Tätersicht eine
unaufschiebbare und für die Erreichung des Tatziels elementar wesentliche Nachtathandlung erforderlich gewesen bzw. geworden sein, deren Vollzug rund zwei Stunden beanspruchte und die in Zusammenhang mit dem Tatmotiv stehen könnte. Diese Nachtathandlung muss mit dem o. g. Aktionsradius zeitlich korrespondieren.
Hierin sehe ich ein
Alleinstellungsmerkmal der Tat, das aus dem gesamten Tatgeschehen herausragt und der Schlüssel für einen Lösungsansatz sein könnte.
5. Zwischenfazit
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• sehr kurzfristig in groben Zügen geplante Tat
• in grobem Umfang bekanntes, lohnendes Tatziel (bestimmter größerer Geldbetrag, bestimmte Wertgegenstände)
• Täter durch Opfer höchstwahrscheinlich identifizierbar
• äußerst wichtige „Erledigung“ durch den Täter
18–20 Uhr innerhalb eines eingrenzbaren Aktionsradius
→ Alleinstellungsmerkmal:
• unaufschiebbare,
• nicht banale Nachtathandlung(en),
• die elementare Bedeutung für die Erreichung des Tatziels haben
6. Geigentheorie und erste Nachtatphase
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Musste der Täter eine billige Austauschgeige erst besorgen (z. B. von BvB in Siegsdorf), etwa weil er die Idee zu dieser Art der Verschleierung erst spontan nach der Tat hatte?
Musste der Täter die erbeutete wertvolle Geige erst in Sicherheit bringen (z. B. bei BvB in Siegsdorf)?
Eine Zwischenlagerung unter freiem Himmel im Hölzl hätte keiner in Erwägung gezogen, der um die Empfindlichkeit solcher Instrumente weiß. Eine Mitnahme der Geige nach Nürnberg hätte den Täter auf der Rückreise (die möglicherweise ursprünglich per Bahn vorgesehen war) verraten können. Ein Deponieren in einem Schließfach des Nürnberger Hauptbahnhofs war offenbar nie angedacht, denn die knappe Zeit für den Weg vom ersten zum zweiten Taxi hätte dafür nicht ausgereicht und der erste Taxifahrer erinnerte sich an kein Gepäckstück. Ebenso wenig wahrscheinlich erscheint ein in Tatortnähe abgestelltes Täterfahrzeug als Depot für die Geige (siehe oben zur Mobilität).
Passt die Wegstrecke vom Hölzl nach Siegsdorf (BvB) zum verfügbaren Aktionsradius? In Abhängigkeit vom Verkehrsmittel:
• in einem Fahrzeug von einem Dritten chauffiert (Mittäter, Gehilfe?),
• Fahrrad (machbar),
• Bus (höchst unrealistisch auf dem Land),
• zu Fuß (geradezu unmöglich).
Alternativen:
Bei mehreren Tatbeteiligten am Hölzl? Zwar hätte die Beutegeige dann arbeitsteilig versorgt werden können (keine entfernt liegende Deponierung nötig), vielleicht aber musste erst noch eine Austauschgeige von irgendwoher organisiert werden.
Wenn der Täter mit einem (geliehenen) Fahrzeug vor Ort gewesen wäre? Auch dann könnte nur die Besorgung einer Austauschgeige das Erklärungsmodell „Geige“ für die erste Nachtatphase aufrecht erhalten.
7. Schlussbemerkung
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Zu bedenken gilt, dass die Geigentheorie zwar plausibel und in sich schlüssig scheint, allerdings an einigen Stellen durchaus einzelne Lücken aufweist, über die bislang weder bestätigende noch widerlegende Erkenntnisse vorliegen.
Auch der Bosnientheorie können obige Überlegungen vielleicht mehr Substanz verleihen. Hinsichtlich des Motivs allerdings (oben Ziffer 1, 2. Absatz) müssten dann plausible Anknüpfungspunkte für einen Beweggrund im persönlichen Bereich gefunden werden.