ENTERTAINMENT - Seit drei Wochen gibt es kein Lebenszeichen mehr von dem zweieinhalbjährigen Kind. General François Daoust, eine Koryphäe auf dem Gebiet der Kriminalpolizei und Kriminologie, schildert dem Figaro seine Analyse der stockenden Ermittlungen.
Der Figaro Nizza
General François Daoust ist eine Referenz auf dem Gebiet der Kriminalpolizei und Kriminologie. Nachdem er Führungspositionen in der Gendarmerie bekleidet hatte, wurde er abwechselnd kriminalistischer Sachverständiger bei Gerichten, Leiter einer kriminalistischen Abteilung und sogar Direktor des renommierten Instituts für Kriminalitätsforschung der Gendarmerie Nationale (IRCGN). Drei Jahre lang befehligte der hohe Offizier auch den Justizpool der nationalen Gendarmerie, der das IRCGN, den zentralen kriminalistischen Nachrichtendienst oder auch das Zentrum zur Bekämpfung der digitalen Kriminalität umfasst.
Drei Wochen nach dem immer noch ungeklärten Verschwinden des kleinen Émile in Haut-Vernet (Alpes-de-Haute-Provence) und angesichts der Tatsache, dass die Ermittlungen in eine Sackgasse geraten zu sein scheinen, teilt der General dem Figaro sein Fachwissen mit Nuancen und Ausgewogenheit mit.
LE FIGARO.- Wurden die ersten Ermittlungen der Gendarmerie trotz des Mediendrucks und in dem Wissen, dass sie offiziell nichts ergeben haben, nach allen Regeln der Kunst durchgeführt?
General François DAOUST- Die Affäre, so wie sie sich abgespielt hat, fiel in ein Medientief. Sie hatte sofort einen großen Einfluss auf die Einschaltquoten. Psychologisch gesehen hat sie alle Eltern und alle, die kleine Kinder haben, in irgendeiner Weise betroffen. Was die Ermittlungsarbeit betrifft, so wurde nichts dem Zufall überlassen. Das zeigte sich an der Rasterung eines Gebiets, das riesig ist. Man spricht von einem Radius von fünf Kilometern um das Haus, von dem aus der kleine Émile angeblich weggegangen sein soll. Das entspricht einer Fläche von mehreren Dutzend Hektar.
Die Geländedurchsuchungen wurden auf der Grundlage der Topografie und des Ortsplans geleitet. Sie wurden mit verschiedenen Arten von Hunden unterstützt. Einige arbeiteten auf Flächen und andere auf Spuren. Der eine geht los, um die Luft zu schnüffeln und Duftmoleküle zu riechen, die vom Kind abgegeben werden, der andere interessiert sich nur für Duftmoleküle, die sich auf dem Boden und in der Vegetation festgesetzt haben. Nicht zu vergessen die Arbeit von Hubschraubern und Drohnen, die unter anderem mit Wärmebildkameras ausgestattet sind. Alles wurde vor Ort eingesetzt.
Es besteht also keine Möglichkeit, dass die Ermittler an der Leiche des Kindes vorbeigekommen sind?
Es gibt immer etwas, das man als wissenschaftliche Unsicherheit bezeichnet. Es ist nicht unmöglich, dass das Kind in ein Loch oder eine kleine Spalte gerutscht ist und dass ein Erwachsener und sogar die Hunde daran vorbeigelaufen sind. Deshalb gibt es noch die letzte Phase der Leichensuche mit Hunden, die Leichen aufspüren. Denn leider ist es nach drei Wochen nicht mehr ein kleines, lebendes Kind, das man zu finden erwartet.
Zuletzt wurden noch alle Hypothesen in Betracht gezogen. Welche der folgenden Möglichkeiten halten Sie angesichts der Art und Weise, wie sich das Kind in Luft aufgelöst haben soll, für am glaubwürdigsten?
Die Schwierigkeit besteht darin, dass ich nicht über die Elemente verfüge, die die Gendarmen besitzen. Es gibt viele Spuren, das stimmt. Die Ermittler haben bereits eine Reihe von Personen befragt, manchmal mehrmals, und sie haben Elemente, die sich mit ihnen überschneiden oder im Gegenteil voneinander abweichen. Es geht also darum, zu überprüfen, ob es sich um Falschaussagen oder falsche Zeugenaussagen handelt. Auf diese Weise, zusätzlich zur Analyse der am Tatort gefundenen Spuren, wird das Feld der Möglichkeiten nach und nach eingeengt. Leider gibt es immer wieder Fälle, bei denen man weiß, dass es sich um einen Kriminalfall handelt, aber keine Spur auftaucht.
Was ist der Unterschied zwischen einer falschen Zeugenaussage und einer Falschaussage?
Eine Falschaussage ist die Aussage einer aufrichtigen Person, die glaubt, zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort etwas gesehen zu haben. Es ist sein Gehirn, das ihn täuscht und eine Vision erzeugt hat. Eine Falschaussage ist jemand, der etwas weiß und die Wahrheit verdreht.
Seit Beginn der Ermittlungen weist der Staatsanwalt gegenüber den Medien die Spur eines Familiendramas zurück. Bedeutet dies, dass die Ermittler nicht an dieser Hypothese arbeiten?
Nein, die Ermittler interessieren sich natürlich für das familiäre Umfeld. Sie untersuchen es zunächst, um herauszufinden, ob es sich um eine normale, ausgeglichene Familie handelt, in der es keine Spannungen gibt, oder ob eine Scheidung in der Luft liegt, die eine Entführung oder gar ein Verbrechen motivieren würde. Alles ist möglich. Die Tanten und Onkel des kleinen Émile sind zum Beispiel sehr jung. Wäre der kleine Junge ihnen gefolgt, als sie in die Natur gingen und hätte sich verlaufen? Oder hätte es bei diesem Ausflug einen Unfall gegeben? In dieser Umgebung kann man sich alles vorstellen.
Dabei würde man jedoch die unmittelbare Umgebung vergessen. Die von Haut-Vernet und Vernet im Allgemeinen. Man denkt unter anderem an den Unfall mit einem Autofahrer. Gab es zum Zeitpunkt des Verschwindens landwirtschaftliche Maschinen, die durch Haut-Vernet fuhren? Der kleine Junge hätte von einem Traktor oder Mähdrescher getötet werden können. Ohne dass der Fahrer es bemerkt hätte! Es kommt vor, dass kleine Tiere von diesen Maschinen verschluckt werden, ohne dass der Fahrer etwas bemerkt.

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"Man darf nicht alles gleichsetzen und nicht nur in eine Richtung gehen, sonst entgeht einem viel. Man muss unvoreingenommen bleiben. Auch wenn die Wahrheit in der Realität der Verbrechen und des Verschwindens leider oft - um nicht zu sagen immer - in der näheren Umgebung liegt.
General François Daoust"
Es wurden einige Parallelen zwischen dem Verschwinden des kleinen Émile und anderen, länger zurückliegenden Ereignissen gezogen. Erinnert Sie dieser Fall selbst an andere Fälle?
Das ist nicht meine Art zu denken und vor allem nicht meine Art zu arbeiten. Während meiner Karriere habe ich Ermittlern und Technikern, die behaupteten, sie hätten "so etwas schon einmal woanders gesehen", immer gesagt, dass es ein Fehler sei, so zu arbeiten. Das ist ein kognitiver Bias, der jeden in einen Gedankentunnel treibt. Dass ein Verschwinden wie ein anderes aussieht, ist eine Sache. Aber handelt es sich dabei um denselben Ort, dieselben Protagonisten und dieselbe Zeit? Nein, natürlich nicht. Man muss jede Gleichsetzung vermeiden und darf nicht in eine einzige Richtung gehen, sonst entgeht einem viel. Man muss offen sein. Auch wenn leider in der Realität von Verbrechen und Verschwindenlassen die Wahrheit oft - um nicht zu sagen immer - in einem recht nahen Umfeld liegt.
Selbst in den sensibelsten Fällen sickern am Ende meist Informationen über die Ermittlungen durch.
Dies war beispielsweise bei den Fällen Lelandais oder Jubillar der Fall.
Nehmen Sie den Fall Daval. Es gab kein Leck und keine Kommunikation, obwohl die Ermittler von dem Moment an auf die Spur von Jonathan Daval kamen, als die Ergebnisse der Expertisen zeigten, dass die Hypothese der Entführung beim Joggen nicht stimmte. Es gibt kein typisches Muster. Vor allem ist es seit einigen Jahren Tradition, während einer bestimmten Zeit der Ermittlungen nicht mehr zu kommunizieren, um in Ruhe arbeiten zu können und nicht mit parallelen Ermittlungen von Schaulustigen oder Medien konfrontiert zu werden, die unbedingt eine Antwort suchen. Mit dem Risiko, einen möglichen Verdächtigen zu alarmieren.
Es wurden gerichtliche Ermittlungen eingeleitet und nicht ein Untersuchungsrichter, sondern zwei befasst. Muss man sich darüber wundern?
Die Kollegialität wird immer wichtiger. Ein einzelner Richter hat ein Portfolio von mehreren Dutzend Fällen. Von einem Fall zu einem anderen zu wechseln und auf diesen zurückzukommen, selbst wenn er als vorrangig vor anderen Fällen angesehen wird, ist nicht einfach. Der Vorteil von zwei Untersuchungsrichtern besteht zunächst darin, dass dieser Tunneleffekt dank der doppelten Lektüre der Akte vermieden wird.
Außerdem kann man so vermeiden, dass man ein Detail, einen kleinen Satz bei einer Befragung oder ein abnormales Verhalten übersieht. Im Fall Nordhal Lelandais zum Beispiel hatte sich einer der Untersuchungsrichter den 2:40 Stunden langen Film, in dem der Verdächtige sein Auto reinigt, noch einmal im Detail angesehen. Ihm war aufgefallen, dass Lelandais einen Teil des Kofferraums ungewöhnlich stark betonte, und zwar genau an der Stelle, an der später ein Mikroblutstropfen gefunden wurde. In diesem Fall hatte der andere Magistrat nichts gesehen.
Wenn in den kommenden Monaten keine neuen Spuren auftauchen, wird dieser Fall zu einem Cold Case?
Ein Cold Case liegt erst dann vor, wenn der Fall ohne Arbeitszelle gelassen wird. Hier denke ich, dass es, wenn die Ermittlungen in den nächsten drei Monaten nicht abgeschlossen werden, trotzdem eine Zelle geben wird, die daran arbeitet. Im Fall des kleinen Jonathan, den man in einer Art Teich gefunden hatte, wurden Spuren gesichert und Zeugenaussagen gemacht. Und 20 Jahre nach den Ereignissen arbeitet eine Gruppe von Ermittlern immer noch an dem Fall. In Le Vernet ist bekannt, dass derzeit Drohnen kreisen und die auf die Bestandsaufnahme spezialisierte Gruppe vor Ort arbeitet. Sie sind dabei, das Gebiet dreidimensional und millimetergenau zu kartografieren. Das heißt, wenn sich die Ermittlungen über einen längeren Zeitraum hinziehen, können sie sich auf diese Daten stützen, z. B. im Falle einer Rekonstruktion oder bei der Befragung späterer Zeugen.