MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

ÖFFENTLICHE DISKUSSION
Fälle: Anja Aichele, Ayleen Ambs, Vierfachmord von Annecy 2012, Bärbel B. (Bremerhaven) u. Ingrid R. (Bremen), Annika Brill, Tristan Brübach, Christoph Bulwin, Anne D. (Lorch), Suzanne Eaton, Michaela Eisch, Victor Elling, Sonja Engelbrecht, Trude Espas, Regina Fischer, Abby G. & Libby W. (USA-Indiana), Maren Graalfs, Valeriia Gudzenko, Mara-Sophie H. (Kirchdorf), Marion & Tim Hesse, Jutta Hoffmann, Bärbel K. (Lübeck), Peggy Knobloch, Cindy Koch, Martina Gabriele Lange, Lola (FR-Paris), Karl M. (Berlin), Khadidja M. (Ingolstadt), Stefan M. (Salzgitter), Jelena Marjanović, Margot Metzger, Karin N. (Borchen), N. N. (Lampertheim), Gabby Petito, Heike Rimbach, Elmar Rösch, Gustav Adolf Ruff, Carina S. (Iserlohn), Hannah S. (Hamm), Lena S. (Wunsiedel), Gabriele Schmidt, Mord in Sehnde-Höver, Yasmin Stieler, Simone Strobel, Elisabeth Theisen, Karsten & Sabine U. (Wennigsen), Nicky Verstappen, Hanna W. (Aschau)
Catch22
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Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

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@Gast0815

Das Problem beschreibst Du ganz richtig. Nur bei der Abgrenzung der beiden „Stufen“ scheint mir die Trennung zu verschwimmen.

Auf der ersten „Stufe“, der Beweiserhebung, werden Indizien gesammelt. Auch entlastende Indizien zählen dazu. Für jedes einzelne Indiz ist Beweis zu erheben.

Bei DNA beispielsweise gelingt dies häufig mit einer Zuverlässigkeit nahe 100 Prozent. Zeugenaussagen dagegen können oft auch um 50 Prozent liegen oder (wie bei Verena) gegen null tendieren. Diese Wahrscheinlichkeitsbetrachtung aber gehört schon zur zweiten „Stufe“, zur Gesamtwürdigung eben aller Indizien.

Ein Fehler tritt auf, wenn bei der Gesamtwürdigung einzelne Indizien (oder Aspekte davon) einfach weggelassen werden. Dann ist die Gesamtheit nicht mehr vollständig und kann folglich nicht mehr zu der geforderten Gesamtwürdigung führen.

Das ist im Fall Hanna (neben anderen Fehlern) passiert. Ein Baumdiagramm könnte ein Weglassen nicht verhindern. Und auch vor möglichen gutachterlichen Fehleinschätzungen (z. B. zu Schulterdachfrakturen, acetylierter Glukose oder Entkleidung durch die Strömung) schützt ein Wahrscheinlichkeitsbaum nicht.


Zur Fehlurteilsforschung und Fehlerkultur sei auf einen Artikel der LTO hingewiesen:

viewtopic.php?p=242251#p242251
Kalle
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Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

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Gast0815 hat geschrieben: Samstag, 01. März 2025, 11:56:40
Eine mathematische Methode, um das anschaulich darzustellen, ist der Wahrscheinlichkeitsbaum. Gerade der drückt es aus, dass es nicht auf einige wenige Indizien ankommt, sondern genaugenommen sämtliche – soweit man sie kennt.

Eine Methodik der mathematik, die es recht bildhaft darstellt, ist der Wahrschweinlichkeitsbaum. Dort gibt es dieses von mir kritisierte zweistufige Verfahren nicht, dass man bestimmte Indizien, die der „Überzeugung“ zuwiderlaufen im ersten Teil erst gar nicht berücksichtigt und man dann versucht im Nachhinein das nachzuholen. Natürlich gibt es auch in der Mathematik die Möglichkeit bei gewissen Voraussetzungen Vereinfachungen vorzunehmen. Aber ganz wichtig ist dabei, dass man sich diesen Voraussetzungen bewusst ist und sie auch überprüft.
Eine sehr schöne Arbeit, die recht gut zeigt, warum das in die Irre führt findet man hier:

https://math.ethz.ch/content/dam/ethz/s ... kt2018.pdf

Eine fundierte Wahrscheinlichkeitsanalyse setzt entweder eindeutige "feste" Zusammenhänge voraus (z.B. Würfel, Lotto) oder zumindest umfangreich statistisch analysierte Zusammenhänge (z.B. Inzidenzen bei Krankheiten). Das gelingt in Modellexperimenten unter "Laborbedingungen" oder mit extrem hohen Fallzahlen. BELASTBARKEIT ist bei der Beschreibung JEDER EINZELNEN Wahrscheinlichkeit das entscheidende Kriterium um eine Methode anwenden zu können. Wenn man im Baum einzelne Wahrscheinlichkeiten unsicher hat, kann man zumindest über die Variation dieser wenigen Faktoren vielleicht noch über eine Sensitivitätsanalyse ein bisschen besser abschätzen. Wenn aber alles unklar ist, scheitet es. Lauter Annahmen geben niemals eine Aussage zu einer Wahrscheinlichkeit !

Diese Konstellation (keine Grundlage für Einzelwahrscheinlichkeiten) ist in Gerichtsprozessen so gut wie immer der Fall. Wenn es keine Fallzahl über Schulterdachbrüche gibt, kann man keine Wahrscheinlichkeit begründen, ob diese durch menschliche Gewalteinwirkung oder durch ein Unfallgeschehen jeweils "wahrscheinlicher" zustande kommen. Was setzen wir hier an ? 0,1 für Gewalt 0,01 für Unfall ? Oder umgekehrt ?

Wenn jemand mitten in der Nacht zum Joggen geht, erhöht das nicht die Wahrscheinlichkeit einem Opfer überhaupt über den Weg gelaufen zu sein, geschweige denn diesem etwas angetan zu haben. Wie hoch erhöht es jetzt diese Wahrscheinlichkeit wenn dieser Jogger von Kameras und Zeugen "in der Nähe" gesichtet wurde ? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit wenn aufgrund einer Party viele Menschen auch "in der Nähe" waren und eine Tat "mitten auf der Hauptstrasse" verübt worden sein soll, ggü. einem Szenario wenn ein Jogger durch den Wald läuft in dem dann ein Opfer gefunden wurde ?

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit dass die Tatwaffe ein Stein war, wenn gar keine Steine in unmittelbarer Nähe waren ?

Die Wahrscheinlichkeit von Verletzungen (generell) in einem Wildfluss kann man vermutlich analysieren. Sie wird hoch sein. Aber gilt das auch für ein spezifisches Verletzungsbild ? Wie verringert sich die Wahrscheinlichkeit für eine spezifische Kopfverletzung ggü. 5-7 gleichartigen ?

Die Wahrscheinlichkeit von unsicherem Gang bei 2 Promille kann man in einem Laborversuch erheben (Oder mit dem Test Finger an die Nasenspitze....). Wieviel fallen nach wenigen Schritten von einem Schwebebalken - kann man vielleicht sagen. Aber wieviele fallen beim Pinkeln in den Bach - 3x weniger, 10x weniger ? Wieviel mehr Frauen fallen dabei in den Bach in Vergleich zu Männern ? Welchen Einfluss hat eine "Alkoholgewöhnung" auf diese Annahmen ?

Die Wahrscheinlichkeit, dass an einem eingegrenzten Tatort mit entweder Holzplanken oder Erde/Gras, an dem ein Opfer mit langen Haaren mit dem Gesicht nach unten gelegen haben soll, KEINE DNA von Opfer oder 'Täter vorliegt, ist wie hoch ? (m.E. hier eine Ermittlungslücke !)

Wenn man Glauben mit Glauben in eine mathematische Formel kippt, kommt Glauben raus. Nein schlimmer, es kommt eine "Scheingenauigkeit" raus, weil man ja eine Methode hatte. Das ist brandgefährlich, denn die Methode ändert nichts daran, dass eben nur Annahmen vorliegen und keine belastbaren (!) Wahrscheinlichkeits-WERTE. Shit in shit out. Und nur noch mal der Vollständigkeit halber: Wir reden von "zweifelsfrei" und nicht von "besser als nix".
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Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

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Spiegel-TV

Am 03.03.2025 berichtete Spiegel-TV auf RTL: „Kein Geständnis, keine Tatwaffe, keine Zeugen – der ‚Eiskeller‘-Mord von Aschau“.

Zu Wort kommen:
► RAin Regina Rick
► RA Dr. Yves Georg
► Rechtsmediziner Prof. Klaus Püschel
► JVA-Zeuge Adrian M.
► Mutter Iris T.
► Tante Andrea T.
► Tante Katharina T.


Video (ab Min. 13:11) auf RTL.de:
https://plus.rtl.de/video-tv/serien/spi ... 025-997706

In Kürze wahrscheinlich auch auf YouTube:
https://youtube.com/@derspiegel
Fränkin
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Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von Fränkin »

Auch wenn ich nicht von Anfang an in diesem Thread schreibe, möchte ich dennoch einmal auf im Urteil beschriebenen Verletzungen eingehen.

Ein lebloser Körper schwimmt nicht gerade wie ein Brett im Wasser. Wie in „Rechtsmedizin“ von Dettmeyer, 4. Auflage zu lesen ist, existiert eine typische Treibhaltung:
Rechtsmedizin_Dettmeyer 4. Aufl.jpg
Rechtsmedizin_Dettmeyer 4. Aufl.jpg (15.43 KiB) 2115 mal betrachtet
Tatsächlich wird darauf im Urteil auch eingegangen:
„946
Die in den Gewässern vorhandenen festen, rauen Strukturen seien grundsätzlich als geeignet angesehen worden, einzelne Verletzungen (sog. Treibeverletzungen), auch postmortal, herbeizuführen, was bei der Ursachenbewertung der im Rahmen der Obduktion erhobenen Verletzungsbefunde Berücksichtigung gefunden habe.“

„948
… Die flächigen Verletzungen (Schürfungen und Einblutungen/Hämatome) an der Stirn, den Wangen, am rechten Ohr, an der Nase und am Kinn … der Verstorbenen und im Bereich Brust und Brustkorb … seien durchaus als typische Treibeverletzungen zu werten.“

„952
Die festgestellte Verletzung der Hanna W. am Hals (Einblutungen im Kopfwendermuskel, Bruch des HWK 5 im Bogenbereich; … sei nicht eindeutig einem Geschehen zuzuordnen. …“

Dazu zitiere ich aus einer Dissertation zum Thema "Todesfall im Wasser":

"Das akzidentelle Ertrinken nach einem Sturz ins flache Gewässer ist häufig mit Traumata von Halswirbelsäule und Schädel-Hirn assoziiert. Beispiele für charakteristische Befunde sind hier Einblutungen in die tiefe Nackenmuskulatur im Bereich C1/C2, gegebenenfalls begleitet von Wirbelkörperfrakturen als Zeichen der Hyperextension"

Daher: Frakturen der Halswirbelkörper sind sehr wohl mit Treibeverletzungen als Zeichen von einem zu weiten Kopf-in-den-Nacken-Bringens zu assoziieren und damit sehr wohl einem eindeutigen Geschehen zuzuordnen.

Die Hose:

„871
Laut Sachverständigem tendiere die Wahrscheinlichkeit, dass einem leblosen, mit der Strömung treibenden Körper die Hose (im Oberschenkelbereich eng anliegend, unten weiter geschnitten) über die Schuhe (Gr. 41) ausgezogen werde, gen Null, sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen.“

Dazu wieder ein Zitat aus der Dissertation zum Thema "Todesfall im Wasser":

„Verursacht durch die starke Strömung, kann der Körper teilweise große Strecken im Gewässer zurücklegen. Eine anfangs bekleidete Leiche kann nun teilweise unbekleidet geborgen werden. Eine entkleidete Wasserleiche muss also nicht auf ein Sexualdelikt hindeuten“

Auszuschließen, dass eine defekte Lederimitatschlaghose durch Strömung auf einer Strecke von über 10km über die Schuhe auf links heruntergeraten sein könnte, ist also gänzlich wider gängigen medizinischen Wissens.


Nun zu den im Urteil mehrfach erwähnten Frakturen der Akromien („Schulterdächer“), deren Entstehung durch das Treiben im Wasser kategorisch ausgeschlossen wird und stattdessen durch Aufknien auf die Schulterblätter mit Anpressdruck nach vorne unten erklärt wird.

Dazu möge man mir gestatten ein wenig auszuholen.


Hier zwei Bilder aus der 2. Auflage „Anatomie des Menschen“ von Rohen. Interessant ist natürlich die Lage des Akromions an sich und zum Verständnis auch die Lage des Processus coracoideus („Rabenschnabelfortsatz“).

Denn zwischen diesen beiden anatomischen Strukturen befindet sich ein stabiles Band - und im Urteil habe ich nichts darüber gefunden, dass dieses Band rupturiert (gerissen) gewesen wäre.
Akromion_Rohen.jpg
Akromion_Rohen.jpg (149.67 KiB) 2115 mal betrachtet
Anhand des unteren der zwei Bilder (eine von vorne aufgenommene rechte Schulter) kann man den Verlauf dieses Bandes relativ gut erkennen.
Es zieht von oben außen nach unten zur Körpermitte, also vom Akromion zum Rabenschnabelfortsatz, dem Processus coracoideus, deshalb heißt es auch nach seinen Ansatzpunkten Ligamentum coracoacromiale.


Egal wie und wodurch diese Fraktur verursacht wurde, wird ein frakturiertes Akromion also in Richtung dieses Bandes dislozieren (Veränderung der Lage aus seiner korrekten anatomischen Position) und zwar nach vorne unten und zur Körpermitte.

Sieht man sich das Schultergelenk in einer Zeichnung aus der 7. Auflage der Funktionellen Anatomie von Rohen an, so erkennt man (hier grün übermalt) den Verlauf des Bandes ziemlich gut.
Schulter_Rohen.jpg
Schulter_Rohen.jpg (116.13 KiB) 2115 mal betrachtet

Würde man den Oberarm also in Richtung des Schulterdaches stauchen, so könnte selbstverständlich dadurch bei intaktem Band (dem Ligamentum coracoacromiale) das Akromion brechen.

Auch ein Heben des Armes über die eigentlich knöcherne Grenze des Akromions kann zu einer Fraktur desselben führen.

Durch den physiologischen Zug des beschriebenen Bandes käme auch hier das Akromion in Richtung vorne unten und zur Körpermitte.

Auf dem über 10km langen Weg in einem hochwasserführenden Bach/Fluss kann vermutlich weder ausgeschlossen werden, dass beide Arme gleichzeitig oder nacheinander entweder seitlich oder von hinten weit über den Kopf geführt wurden noch die Arme in das Schultergelenk gestaucht wurden. Ebenso wenig kann ein Sturz auf die Unterarme mit akromienfrakturierender Stauchung ausgeschlossen werden.
Gast0815

Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von Gast0815 »

Kalle hat geschrieben: Montag, 03. März 2025, 07:58:19Wenn man Glauben mit Glauben in eine mathematische Formel kippt, kommt Glauben raus. Nein schlimmer, es kommt eine "Scheingenauigkeit" raus, weil man ja eine Methode hatte. Das ist brandgefährlich, denn die Methode ändert nichts daran, dass eben nur Annahmen vorliegen und keine belastbaren (!) Wahrscheinlichkeits-WERTE. Shit in shit out. Und nur noch mal der Vollständigkeit halber: Wir reden von "zweifelsfrei" und nicht von "besser als nix".
Du hast mich falsch verstanden. Dass Gerichte nun Zahlen in mathematische Formeln setzen sollen, habe ich nie behauptet. Ich habe von vornherein gesagt, dass dass die Bezifferbarkeit der Werte unmöglich ist.

Auch ein Gerichtsurteil hat nicht nur etwas mit Glauben zu tun und es steckt eben auch Gesetze der Wahrscheinlichkeit dahinter. Gedankliche Hilfsmittel, welche sich durchaus an die Mathematik anlehnen, wenden auch Gerichte an. Wenn z.B. DNA am Tatort einer verdächtigen Person am Tatort zu finden ist – die normalerweise dort nicht zu suchen hat, dann muss das noch nicht ausreichend für eine Verurteilung sein. Wenn z.B. noch ein Knopf vom Angeklagten gefunden wird, dann wird es schon eng. Auch wenn die Einzelwahrscheinlichkeiten nicht 100%ig sind, die Kombination zeigt dann auf einer höheren Wahrscheinlichkeit in Richtung Schuld hin als die einzelnen Indizien.

In Wirklichkeit ist dann eine gewisse Form von angewandter Mathematik, ein Indiz mag da noch nicht ausreichend sein, aber ein weiteres, das erhöht die Wahrscheinlichkeit den richtigen vor sich zu haben und verringert die Wahrscheinlichkeit der Unschuld.

Und Wahrscheinlichkeit ist auch im Gerichtssaal nicht unbekannt. So gibt es da Aussagen wie „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ usw..
Auch kleine Zeitfenster verringern die Wahrscheinlichkeit für den Täter. Wenn es die gibt, müssen andere Indizien umso stärker oder zahlreicher sein, um das zu kompensieren. Auch ohne absolute Zahlen kann man die Gesetze eben doch anwenden.


Was gäbe es denn für Dich für einen Alternative, soll die Justiz von der Mathematik ganz losgelöste Regeln machen? Reicht die menschliche Intuition aus oder sollte die auch nicht auch annähernd auf mathematischen Prinzipien basieren? Die Geschichte kennt die Auswüchse der Justiz, die Gerichte haben in der Regel immer geglaubt, dass sie die richtige Entscheidung gefällt haben.
Der_Clown

Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

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@Catch22

Danke für den Hinweis auf die Reportage.

Interessant finde ich vor allem die Einschätzung von Professor Püschel, der Unverständnis für das Ausschließen der Verletzungen an Kopf und Schulter als Treibverletzungen äußert und solche Verletzungsmuster schon Eingang in die Literatur erhalten haben.
Wobei man sagen muss, dass nicht ganz klar wird, welche Verletzungen er genau meint. Der Off-Sprecher spricht von "Abschürfungen an Kopf und Schulter" - sind damit auch die Schulterdachbrüche und die Riss-Quetschwunden inkludiert?

Im anderen Forum schlägt das Video höhere Wellen als hier, ein User vermutet sogar, dass damit Druck auf den BGH ausgeübt werden soll. Vermutlich das letzte Aufgebot der Pro-Schuld-Gruppe bevor der BGH das Urteil aufhebt und ein Machtwort spricht.
Catch22
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Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von Catch22 »

Der_Clown hat geschrieben: Mittwoch, 05. März 2025, 09:03:37 … Interessant finde ich vor allem die Einschätzung von Professor Püschel …
Von einem „Gutachten über den Zustand der Leiche“ ist die Rede. Vor der Kamera blättert Püschel darin. Das Gutachten scheint einen ausgereiften Umfang aufzuweisen.

Was wir nicht erfahren, ist der Zeitpunkt, seit dem das Gutachten in dieser Form und in diesem Umfang vorliegt. Bereits seit der Traunsteiner Hauptverhandlung?

Damals wurde in der Presse von einer E-Mail Püschels gesprochen, die RAin Rick dem LG (zusammen mit einem Beweisantrag) vorgelegt habe. Dies legt den Schluss nahe, dass es sich dabei nur um eine kürzere Ersteinschätzung gehandelt haben dürfte. Gleichwohl konterte der Nebenklagevertreter Holderle ad hoc mit einer Strafanzeige, derzufolge Püschel das Obduktionsgutachten der Münchner LMU einschließlich des Bildmaterials zugänglich gemacht worden sei. Dies erklärt, auf welcher Grundlage Püschels Gutachten enstanden ist – aber nicht, wann.

Dass dieses Gutachten Sprengstoff enthalten dürfte, liegt auf der Hand. Sonst würden die davon betroffenen Wadlbeißer nicht so unerbittlich bellen. Und Püschel hätte in seinem Ruhestand besseres zu tun, als sinnlos rechtsmedizinische Luftschlösser zu bauen und damit seinen in einem langen Berufsleben erarbeiteten, exzellenten Ruf aufs Spiel zu setzen.

Der_Clown hat geschrieben: Mittwoch, 05. März 2025, 09:03:37 … Püschel, der Unverständnis für das Ausschließen der Verletzungen an Kopf und Schulter als Treibverletzungen äußert und solche Verletzungsmuster schon Eingang in die Literatur erhalten haben. …
Damit reduziert Spiegel-TV die Kernaussage des Gutachtens auf eine kaum mehr zuordenbare Dimension. Geschuldet ist dies offenbar einer Zielgruppe, die eine stark emotionalisierte Ebene bevorzugt.

Solange Püschels Expertise nicht in einer neuen Hauptverhandlung öffentlich bekannt wird, können wir versuchen, uns ihr unter Zuhilfenahme des Urteils anzunähern. Als besonders hilfreich erachte ich die Beiträge von @Fränkin, die medizinisches Fachwissen dem Laien (wie auch ich einer bin) verständlich macht.

Eine überraschende Erkenntnis zur Glukose im Urin, bei der das Merkmal „acetyliert“ die entscheidende Weiche stellt:
viewtopic.php?p=288384#p288384

Eine Blasenentzündung führt zu häufigem Harndrang und lässt ein Austreten am Bärbach plötzlich höchst plausibel erscheinen. Dazu könnte auch das Ibuprofen passen, das im Körper der Toten gefunden wurde.

Ein Band am Schulterdach, das die Ratlosigkeit erklärt, wenn man es nicht lege artis berücksichtigt:
viewtopic.php?p=288772#p288772

Vielerlei Ursachen für die Frakturen erscheinen plötzlich naheliegend, etwa ein Sturz oder das Treiben im Fluss.
Gast0815

Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von Gast0815 »

Catch22 hat geschrieben: Mittwoch, 05. März 2025, 12:33:01Solange Püschels Expertise nicht in einer neuen Hauptverhandlung öffentlich bekannt wird, können wir versuchen, uns ihr unter Zuhilfenahme des Urteils anzunähern. Als besonders hilfreich erachte ich die Beiträge von @Fränkin, die medizinisches Fachwissen dem Laien (wie auch ich einer bin) verständlich macht.
Ja, das sehe ich auch so. Die Sache mit dem Band erklärt vieles. Und auch dass ein solcher Bruch ein Überstrecken des Armes erfolgen kann, erklärt mir auch, dass sich diese Brüche häufig bei Fahrradunfällen zeigt (wahrscheinlich auch Motorradunfälle). Denn gerade da sin solche Verrenkungen wahrscheinlicher. So eingezieltes Treffen von einem wie immer gearteten Gegenstand - entsprechend der Adamec-Theorie - hatte ich mir dort nicht wirklich vorstellen könen. Auch dort wird es eher den Kopf treffen und kaum diesen kleinen Bereich an der Schulter. Genauso verhält es sich beim Draufspringen mit den Knien, das würde niemand machen, zu groß ist die Gefahr des Auftreffens auf dem Boden oberhalb der Schulter mit möglichwerweisen schweren Knieverletzungen. Würde Adamecs Theorie stimmen, dann wäre ein Bruch dieses Knoches häufiger bei Raufereien zu finden.

Ja diese Erklärung macht alles deutlich schlüssiger.
Catch22
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Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von Catch22 »

Vom Bestätigungsfehler zur kognitiven Dissonanz?

Geht man davon aus, dass die Rechtsmediziner der Münchner LMU die im Urin gefundene acetylierte Glukose fehlinterpretiert haben und die Wirkweise des Bandes zwischen Schulterdach und Rabenschnabelfortsatz unbeachtet ließen, so stellt sich die Frage, wie es dazu kommen konnte.

Über Fehlurteile in Deutschland verfasste Wolfgang Janisch, promovierter Jurist und seit 2010 justizpolitischer Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Karlsruhe, eine Analyse, die es ohne jeden Zweifel lohnt, hier in ihrer ganzen Länge zu lesen. Der noch immer brandaktuelle Beitrag aus dem Jahr 2015 beleuchtet einen fatalen Mechanismus, der auch im Fall Hanna gegriffen zu haben scheint. Ein Auszug daraus:

Spoiler – hier klicken!
Fehlurteile in Deutschland
Ohne jeden Zweifel



Aber auch Falschgeständnisse kommen häufiger vor, als man annehmen möchte. …

Das deutet auf ein grundlegendes Problem hin, wie die Rechtsprofessorin Petra Velten aus Linz kürzlich bei einer Strafrechtstagung erläutert hat. In diesen Fällen würden in den USA oft Profiler eingesetzt, die eine Tat-Hypothese entwickelten – eine Hypothese, die in den Vernehmungen dann „hereingefragt“ werde. Man glaubt zu wissen, wie es war. Und fragt so lange, bis man die Bestätigung hat. Auch im Fall Peggy hatte ein Profiler eine Tatversion formuliert.

Nun gibt es viele skrupulöse Richter und gewissenhafte Staatsanwälte, denen sehr wohl bewusst ist, dass der Zweifel die Maxime des Strafprozesses ist. Doch wenn sie die Akte auf den Tisch bekommen, kann der Fall längst auf dem falschen Gleis sein. Die größten Fehler, so lautet das Fazit aller Untersuchungen, werden im Ermittlungsverfahren begangen. Formal hat dort zwar ein Staatsanwalt das Sagen, faktisch aber liegt die Arbeit in den Händen von Polizisten. Und Polizisten sind keine Zweifler. „Polizisten sind Jäger“, sagt der Strafverteidiger Christof Püschel.

Die Beamten sind die ersten, die sich ein Bild vom Tatort machen, die Zeugen und Verdächtige befragen. Sobald sie sich auf eine Version des Geschehens festgelegt haben, kommt ein Mechanismus in Gang, der verhängnisvoll sein kann. Indizien werden so zusammengefügt, dass sie ins Bild passen. Fragen werden so formuliert, dass sie die gewünschte Antwort nahelegen. Das funktioniert ohne bösen Willen, Psychologen nennen das den „Confirmation Bias“:

Man sucht nach Bestätigungen, nicht nach Widerlegungen. Und der „Confirmation Bias“ sickert in die Akten ein – zum Beispiel über die Vernehmungsprotokolle, in denen die Aussagen ziemlich freihändig zusammengefasst werden. Die Befragten referieren dort scheinbar ausführliche Beobachtungen, auch wenn sie auf eine lange, suggestive Frage des Beamten vielleicht nur eines gesagt haben: Ja, so war's.

Wie entscheidend aber der genaue Wortlaut einer Frage für die Bewertung der Antwort ist, weiß man spätestens seit 1974. US-Wissenschaftler zeigten das Video eines Autounfalls und stellten verschiedenen Gruppen eine Frage in mehreren Variationen: Wie schnell fuhren die Autos, als sie sich berührten, aufeinandertrafen, zusammenstießen, kollidierten, ineinanderkrachten. Die Geschwindigkeit stieg, je dramatischer das Verb war – von knapp 32 auf mehr als 40 Meilen. Auch die Zahl derer nahm zu, die Glassplitter gesehen haben wollten. Im Video kamen sie nicht vor.

Menschen stellen getroffene Entscheidungen ungern in Frage

Dies alles könnte in der Hauptverhandlung korrigiert werden. Allerdings lauert auch dort eine psychologische Falle. Die Richter haben die Akten gelesen und das Hauptverfahren eröffnet – also eine Vorentscheidung getroffen, wonach eine Verurteilung „hinreichend wahrscheinlich“ sei. Menschen stellen indes einmal getroffene Entscheidungen ungern in Frage, das lehrt die Theorie der „kognitiven Dissonanz“: „Dissonante“, also der Anklage widersprechende Informationen haben eine wesentlich geringere Chance auf Gehör als solche, welche die Anklage stützen.

Nötig wäre eine – in der Justiz in Wahrheit nicht sonderlich ausgeprägte – Kultur des Zweifels, damit nicht ein Konglomerat aus Akten und Vorfestlegungen geradewegs zu einer Verurteilung führt. Zudem gibt es eine Reihe von Korrekturvorschlägen wie etwa Videoaufzeichnung der Verhöre, Verfahrenseröffnung durch ein separates Gremium, niedrige Hürden für die Wiederaufnahme. Zentral für die Fehlerkorrektur ist aber die Rolle des Anwalts: „Der Verteidiger ist die Inkarnation der Alternativhypothese“, sagt Christof Püschel.

Jedenfalls, wenn er seinen Job gut macht. Das ist ja auch keineswegs immer gesagt …

Süddeutsche Zeitung am 17.05.2015
https://www.sueddeutsche.de/politik/feh ... -1.2479505

Nachdem die im Fall Hanna pflichtrekrutierte „Inkarnation der Alternativhypothese“ eher einer Totgeburt glich, erweckte eine Verteidigerin aus München Lazarus zum Leben und füllte das Vakuum mit Scharfsinn und Fleiß.

Aus den Akten entnahm RAin Rick, dass der Hydromechaniker Malcherek auffällig oft mit dem Traumatomechaniker Adamec telefoniert hatte. Das aber erklärt nicht den Ursprung des Ganzen.

RAin Rick vermutet, dass dieselbe Kriminalbeamtin Diana U., die einen tragischen Unfalltod in der Badewanne irrig zu einem Mordfall gewendet hatte, im Fall Hanna einen ähnlichen Einfluss ausgeübt haben könnte. Siehe dazu:

viewtopic.php?p=283698#p283698

Im Badewannen-Fall trat das Belastungsstreben erst etliche Wochen nach dem tödlichen Unfall zu Tage. Im Fall Hanna dagegen müsste ein Irrweg schon in den Anfängen der Ermittlungen eingeschlagen worden sein. Damit hätte im Fall Hanna sogar mehr „negative Energie“ eingeflossen sein müssen als im Badewannen-Fall – falls die Hypothese von RAin Rick zutrifft.

Deshalb ein Blick zurück: Was geschah aus der Perspektive der Ermittler am 03.10.2022 und in den Tagen danach?


Leichenfund
► ohne Hose, nur Stringtanga
► ohne Jacke
► mit Schuhen
► Gesicht entstellt, nicht identifizierbar
► Kopfverletzungen
► multiple Verletzungen, Hämatome

Spurenlage
► Tatort unbekannt
► Tatwerkzeug unbekannt
► Täter unbekannt
► keine Spuren

Ermittler vor Ort
► Feiertag, noch keine Soko
► Schutzpolizei, Kriminalpolizei
► später auch: Diana U. (Chefin des K1)
► StA (Wolfgang Fiedler?)

Verdacht einer Gewalttat
► Bekleidungsstatus der Leiche
► vorläufiges Verletzungsbild
► Leichenschau (Ärztin aus Prien hält Gewalttat für möglich)
► StA ordnet Obduktion an

Obduktion
► Beginn 23.40 Uhr, LMU München
► Anwesenheit der StA obligatorisch
► Wer war als Vertreter der StA bzw. Polizei dabei?
► Diana U. als Ansprechpartnerin
► 0.56 Uhr Mitteilung an Polizei, es sei von einem Tötungsdelikt auszugehen (Urteil, Rdnr. 152)

Diana U. (spekulativ)
► priorisiert Gewalttat
► vermutet Sexualdelikt
► negiert Unfalloption
► Bestätigungsfehler
► dieser beeinflusst Rechtsmediziner, Kripo, StA
► drängt auf Soko

Kriminaldirektor Butz
► richtet Soko ein (Pressemitteilung 04.10.2022)
► „eindeutige Spuren“ äußerer Gewalteinwirkung „belegen“ ein Tötungsdelikt (PM 04.10.2022)
► Diana U. gehört der Soko an
► Upload-Portal, Gewaltdelikt (PM 05.10.2022)
► erklärt pro forma auch Unfall für möglich! (PM 06.10.2022)
► äußert sich später nie wieder zum Thema Unfall

Biomechaniker Adamec
► Tatortbegehung (13.10.2022, Urteil, Rdnr. 944)
► Bestätigungsfehler setzen sich fort

Polizeispräsident
► RAin Rick moniert bei Gericht Einfluss durch Diana U.
► Präsident kontert mit Androhung rechtlicher Schritte
siehe hier: viewtopic.php?p=248079#p248079 (Spoiler am Ende)


Letzteres spricht Bände. Und ein schon am 04.10.2022 um 0.56 Uhr rechtsmedzinisch festgestelltes Tötungsdelikt sowie dessen kurz darauf polizeilich proklamierte „Eindeutigkeit“ verblüffen.

Noch einmal die Kernaussagen aus der Analyse von Wolfgang Janisch:

Spoiler – hier klicken!


Die größten Fehler … werden im Ermittlungsverfahren begangen.



Sobald sie sich auf eine Version des Geschehens festgelegt haben, kommt ein Mechanismus in Gang, der verhängnisvoll sein kann. Indizien werden so zusammengefügt, dass sie ins Bild passen. Fragen werden so formuliert, dass sie die gewünschte Antwort nahelegen.



Man sucht nach Bestätigungen, nicht nach Widerlegungen.



Menschen stellen indes einmal getroffene Entscheidungen ungern in Frage, das lehrt die Theorie der „kognitiven Dissonanz“: „Dissonante“, also der Anklage widersprechende Informationen haben eine wesentlich geringere Chance auf Gehör als solche, welche die Anklage stützen.



Zentral für die Fehlerkorrektur ist aber die Rolle des Anwalts: „Der Verteidiger ist die Inkarnation der Alternativhypothese“ …



Süddeutsche Zeitung am 17.05.2015
https://www.sueddeutsche.de/politik/feh ... -1.2479505

Polizei, StA und schließlich das Gericht suchten nach Bestätigungen der Verbrechenstheorie, nicht nach Widerlegungen. Die einmal getroffene Weichenstellung wurde nicht in Frage gestellt. Widerstand des Pflichtverteidigers wurde nicht sichtbar, viel zu spät widersprechende Argumente fanden kein Gehör.

Bestätigungsfehler und kognitive Dissonanz stützten Anklage und Schuldspruch – und wucherten aufgrund einseitiger Berichterstattung in die Öffentlichkeit hinein, aus der heraus sogar Gewaltdrohungen gegen die Verteidigung resultierten.

Die all dem widersprechenden Argumente von RAin Rick fielen auch der Selbstzensur einer verantwortungslosen Journaille zum Opfer. Mit Häme, Spott und böswilligen Unterstellungen wurde Frau Rick diffamiert. Mit der Urteilsverkündung entstand der Eindruck, das Gericht habe auch die verhasste Verteidigerin verurteilen wollen.

Jetzt, wo das schriftliche Urteil vorliegt, zeigt sich, dass Ricks Theorie vom Urinieren am Bärbach alles andere ist als „abstrus“ (um das Lieblingswort des Nebenklagevertreters Holderle zu gebrauchen).

Abstrus vielmehr ist, von acetylierter Glukose im Urin abwegig auf einen Adrenalinausstoß zu schließen – und nicht an einen naheliegenden bakteriellen Infekt der Harnblase und einen dadurch gesteigerten Harndrang zu denken!

Zu den Schulterdachfrakturen bezweifelte RAin Rick zudem stets die Version der Münchner Rechtsmediziner. Sie wollte, dass das Gericht einen Radiologen hinzuzieht. Dass ein Unfallchirurg die weitaus bessere Wahl gewesen wäre, wusste sie offenbar nicht. Das Gericht lehnte ohnehin ab. Heute erahnen wir, dass RAin Rick wohl den richtigen Riecher hatte.

Denn ebenso abstrus ist es, wenn Rechtsmediziner die Wirkweise eines Bandes zwischen zwei Knochen nicht kennen!

Wann genau in der Chronologie diese rechtsmedizinischen Errata ihren Ursprung haben, ist schwer einzuschätzen. Naheliegend: noch bevor in der Nacht der Obduktion um 0.56 Uhr die „Eindeutigkeit“ eines Tötungsdelikts festgestanden haben soll. Zum Glück besteht für einen noch lebenden Menschen kein Risiko, von diesen Fachärzten behandelt werden zu müssen.


RAin Ricks Beweisantrag Nummer 15, mit dem sie anstrebte, dass Püschel vom LG Traunstein als Gutachter beauftragt werde, wurde brüsk zurückgewiesen. Im Urteil abgekanzelt wurde die sogenannte „Verteidigerversion“:

Spoiler – hier klicken!

Rdnr. 1135–1140
19.7.8. „Verteidigerversion“

[1135] Die von der Verteidigung in den Raum gestellte „Unfallversion“, Hanna W. sei, als sie ausgetreten sei, in den Bärbach gefallen, wo sie erst um 02:32:09 Uhr durch 2x-iges Drücken der Schaltfläche Notruf und das Auswählen des Notrufkontaktes „home“ den Notruf absetzte, anschließend sich selbst Hose und Jacke auszog, um an das (max.) nur 1,15 m entfernte Ufer zu schwirmmen, dann ertrunken sei und sich die festgestellten Verletzungen während des Treibens bis zum Auffindeort zugezogen habe, ist unter Berücksichtigung der dargelegten Aspekte, die eindeutig gegen ein Unfallgeschehen sprechen, ausgeschlossen.

[1136] Seitens der Kammer ist deshalb insoweit lediglich nochmals besonders zu betonen, dass das Verletzungsbild eindeutig gegen die „Unfallversion“ spricht. Das Verletzungsbild in seiner Gesamtheit kann nicht (vollständig) während des Treibevorganges entstanden sein, insbesondere betreffend die festgestellten Kopf- (ohne Schürfungen) und Akromionverletzungen sowie die flächigen und massiven und Ein-/Unterblutungen im Rückenbereich sowie die Einblutung am rechten Oberarm bis auf den Knochen.

[1137] Ebenfalls nicht in Einklang mit der „Verteidigerversion“ zu bringen ist das Absetzen des Notrufes um 02:32:09 Uhr an den Notfallkontakt „home“, wie bereits ausgeführt.

[1138] Insbesondere sind auch nochmals die Erkenntnisse der Rechtsmedizin in die Beurteilung einzustellen, dass eine Handlungsfähigkeit von Hanna W. aufgrund der Bewusstseinseintrübung zum Zeitpunkt des Gelangens ins Wasser nicht mehr gegeben und aufgrund ihrer Alkoholisierung (Gefäße weit, bei Gelangen ins kalte Wasser Abfall des Blutdrucks und der Herzleistung) – selbst wenn sie entgegen der tatsächlichen Feststellungen bewusstseinsklar gewesen wäre – ihr eine Synchronisierung von Atmung und Bewegung nicht mehr möglich gewesen wäre (Ziff. D. II. 18.3.3.3.).

[1139] Damit konnte Hanna W. nicht (wie von der Verteidigung behauptet) noch 1-2 min Schwimmbewegungen ausführen. Das Absetzen des Notrufs durch Hanna W. kann nicht im Wasser erfolgt sein. Ebenso wenig konnte Hanna W. sich im Wasser Jacke sowie Hose über die anbehaltenen Sneaker (Gr. 41) ausziehen (Ziff. D. II. 18.2.), um der Theorie der Verteidigung entsprechend ans Ufer zu schwimmen.

[1140] Die von der Verteidigung vorgebrachte „Unfallversion“ des „Austretens“ wird auch nicht durch den Umstand gestützt, dass in der Harnblase von Hanna W. eine Urinmenge von lediglich 1 ml gefunden wurde, da – so … [toxikologischer Gutachter] und … [Mützel] (vgl. Ziff. D. II. 18.3.2. und 18.3.3.3.) – neben einer bewussten Entleerung ebenso eine unbewusste postmortale Entleerung plausibel ist.

Nach unseren nunmehrigen Erkenntnissen zu acetylierter Glukose und dem Ligamentum coracoacromiale (Band am Schulterdach) lohnt ein genauerer Blick auf den damaligen Beweisantrag der Verteidigerin, auch wenn zu dessen medizinischen Hintergründen bislang nichts öffentlich bekannt ist:

► Hanna sei bei Bewusstsein ins Wasser gelangt und noch handlungsfähig gewesen.

► Sie habe 1–2 Minuten lang Schwimmbewegungen ausgeführt.

► Die Einblutungen in Rücken, Hals und Oberarmen seien durch die Strömung erklärbar.

► Die Schulterdachfrakturen seien nicht durch Draufknien (und Draufspringen?) erklärbar.

► Die Riss-Quetsch-Wunden am Kopf und die Schulterdachfrakturen könnten im Fließgewässer entstanden sein.

(Quelle: @fassbinder, vgl. hier)


Seien wir gespannt, was Püschel im Falle einer neuen Hauptverhandlung ans Licht bringen wird. Interessant könnten z. B. noch folgende Punkte werden:

► Ertrinkensvorgang,
► Unfähigkeit zu schlucken,
► Mageninhalt,
► evtl. Stimmritzenkrampf (Beitrag von Gast0815, 3. Absatz).

Dann dürfte die „Verteidigerversion“ ein Fundament erhalten und auch plausibel machen, dass Hanna ihre Jacke im Wasser selbst ausgezogen haben könnte. Die gegen Frau Rick abgefeuerte Munition kennt ihren Weg: return to sender.
Gast

Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von Gast »

Wenn du 50 m im Meer schwimmen musst ziehst du vllt deine Jacke aus, aber nicht wenn das rettende Ufer zum greifen Nahe ist.

Am Brückerl geht keine Frau Pissen da neben dran genug Hecken und Autos als Sichtschutz sind.

Anlehnen am Geländer und Rüchwärtsüberschlag mit festkrallen könnte für die Schulterverletzung in Frage kommen, wenn es eine Orthopäde bestätigt aus seinem Erfahrungsschatz.

Mit Festlegung auf einen Unfall wäre die Polizei aber erheblich billiger davon gekommen.

Ein anderer Täter hat sie ganz einfach aus Frauenfrust oder sonstigen Gewaltfantasien in den Hochwasser führenden Bach befördert
was zu dem Zeitpunkt tödlich war.

Anruf zu Hause entweder aus Erschöpfung oder wegen Bedrohung.
Fränkin
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Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von Fränkin »

Catch22 hat geschrieben: Freitag, 07. März 2025, 21:33:48 Seien wir gespannt, was Püschel im Falle einer neuen Hauptverhandlung ans Licht bringen wird. Interessant könnten z. B. noch folgende Punkte werden:

► Ertrinkensvorgang,
► Unfähigkeit zu schlucken,
► Mageninhalt,
► evtl. Stimmritzenkrampf (Beitrag von Gast0815, 3. Absatz).
Zur Frage nach dem Ertrinkungsvorgang:

Nach dem Überraschungseinatmen („respiration de surprise“) beim Hineingelangen ins Wasser können 4 Stadien des Ertrinkens abgegrenzt werden:

Stadium 1 Bewusstes Atemanhalten, Dauer: 30 s bis 1 min, bei Trainierten bis max. 2 min

Stadium 2 Dyspnoe: Die Atmung kann durch den Atemreiz über das Atemzentrum infolge des angestiegenen CO2 nicht mehr willkürlich unterdrückt werden. Es kommt zu Inspirationen (Einatmungen), denen hustenartige Exspirationen (Ausatmungen) folgen. Bei zunehmender Tiefe der Bewusstlosigkeit sinkt der Hustenreiz, die Atembewegungen sind von wechselnder Intensität. Dauer: 1–3 min

Stadium 3 Krämpfe: Tonisch-klonische Krämpfe (die Muskulatur spannt sich abwechselnd stark an, es kann zu Zuckungen auch größeren Ausmaßes kommen, z.B. mit den Armen herumschlagen); weiterhin mit Atemtätigkeit. Dauer: bis 90 s

Stadium 4 Unbewusstes Atemanhalten und terminale Schnappatmung (lebensbedrohliche Atemstörung, die oft dem Atemstillstand vorausgeht): Zunächst präterminale Apnoe (Atemstillstand), der Kreislauf ist noch erhalten, danach folgt das letzte Ertrinkungsstadium, das durch Herzstillstand beendet wird

Von @Gast0815 wurde in einem Vorposting der Stimmritzenkrampf erwähnt.
... Wenn man dann durch die Gischt einen Stimmritzenkrampf bekommt (man sollte sich mal erinnern, es war kein Wasser in der Lunge), ist ein Ertrinken unvermeidbar, wenn keine Rettung da ist. ...
Dazu kurz die Passage im Urteil:
„937
Der bei der Obduktion zutage getretene wesentliche Befund einer massiven Blähung beider Lungen mit aufgehobenem Retraktionsvermögen und reichlich feinblasigem Schaum spreche aus rechtsmedizinischer Sicht, so Prof. …, auch im Hinblick auf die Auffindesituation für ein Ertrinken. Dies bestätige auch der histologische Befund. Die feingeweblichen Untersuchungen hätten an der Lunge eine deutliche emphysematöse Überblähung von Abschnitten der Lungenperipherie mit Zeichen, die durchaus vereinbar seien mit einem akuten Ertrinkungsereignis, gezeigt, des Weiteren typische Anzeichen eines akuten Herzkreislaufversagens.“


Es befand sich kein Wasser aber „reichlich feinblasiger Schaum“ in der Lunge, die Lunge war deutlich überbläht. Eindeutige Zeichen für Ertrinken.

Beim sogenannten Badetod kommt es zum plötzlichen Todeseintritt beim Untertauchen. Im Kopf-Halsbereich werden dabei Reflexe ausgelöst, die eine vagotone Wirkung haben und schnell zu Kreislaufzentralisation und Asystolie (Herzstillstand) führen können. Die Vaguseffekte (der Vagusnerv kann als unser "Ruhenerv" erklärt werden) können durch Alkoholisierung verstärkt werden.

Der reflektorische Krampf der Kehlkopfmuskulatur kann zur Verengung des Larynx und sogar zum Verschluss der Stimmritze führen, wobei da normalerweise die Luft bei der Einatmung durch müsste. Schätzungsweise 10 % der „Ertrinkungsopfer“ haben infolge des Laryngospasmus kein Wasser in den Atemwegen. Damit sieht man bei der äußeren Leichenschau kein Schaumpilz an Mund bzw. Nase. Bei der Obduktion fehlen die Ertrinkungsbefunde (Schaum in der Lunge, überblähte Lunge) oder haben nur geringe Intensität.

Da aber im Urteil von „feinblasigem Schaum“ und „einer deutlichen emphysematösen Überblähung von Abschnitten der Lungenperipherie mit Zeichen, die durchaus vereinbar seien mit einem akuten Ertrinkungsereignis“ geschrieben wird, ist ein „Stimmritzenkrampf“ (also ein Laryngospasmus und damit ein sogenannter Badetod) zwar immer noch möglich, aber eher unwahrscheinlich.


Zur Unfähigkeit zu Schlucken:

Das Problem im Urteil ist, dass das rechtsmedizinische Gutachten nicht in Gänze wiedergegeben wurde. Bei Ertrinkungsopfern würde ein gewissenhafter Rechtsmediziner den Mageninhalt in ein spitzes Gefäß gießen und sich ansehen, ob sich die Phasen auftrennen.
Hätte Hanna also noch aktiv geschluckt, so hätte man in der Untersuchung des Mageninhalts in der unteren Schicht feste Bestandteile, in der mittleren Schicht flüssige Bestandteile und in der oberen Schicht Schaum gefunden (= „Wydler-Zeichen“ als Kennzeichen für eine vitale Reaktion im Wasser).

Schlucken und Husten sind zwei unserer Schutzreflexe. Beim Bewusstlosen sind diese Schutzreflexe ausgeschalten. Es kann also beim Zurückfließen von Mageninhalt über die Speiseröhre in den Kehlkopf (= Regurgitieren) zu einem Aspirieren (Anatmen) von Mageninhalt kommen. Das ist der Grund, warum man eine bewusstlose Person in die stabile Seitenlage bringen sollte, weil damit der Mundwinkel der tiefste Punkt ist, so zurückfließender Mageninhalt ablaufen kann und nicht in die Lunge gelangt.

Nun kennen wir aber das rechtsmedizinische Gutachten nicht und können nur hoffen, dass der Mageninhalt lege artis untersucht und das Ergebnis auch aufgeschrieben wurde.


Der Mageninhalt

Aus dem Urteil:

"936
Es sei zudem ein deutlicher aromatischer Geruch der Leibeshöhlen aufgefallen, so dass eine Alkoholbestimmung veranlasst worden sei. Im Magen habe 110 ml eines wässrigen Sekrets mit einzelnen erkennbaren festen Nahrungsbestandteilen festgestellt werden können, in der Blase 1 ml Urin …"

Leider finde ich keine Angabe zu Schaum im Magen, aber 110ml wässriges Sekret plus feste Nahrungsbestandteile sprechen bei einem Blutalkohol von über 2 Promille eher dafür, dass der Rest des Mageninhalts in der Prien war.

Hierzu nur eine Beispielrechnung: Für über 2 Promille hätte Hanna ca. 6 Alkoholmixgetränke zu sich nehmen müssen. Das wären rund 2 Liter Flüssigkeit mit insgesamt ca. 95 Gramm reinem Alkohol. Es hätte also mehr Flüssigkeit im Magen sein müssen, wenn sich Hanna nicht eventuell vor dem Sturz in den Fluss erbrochen hätte, doch im Rahmen des Abhustens von Wasser aus den Luftwegen während des Ertrinkungsvorganges erbrochen hätte oder Mageninhalt passiv über die Speiseröhre zurückgelaufen wäre.
Gast

Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von Gast »

Beim Erbrechen braucht man keine Autos oder Büsche sondern eher eine Wand oder ein Geländer um sich beim nach vorne Bücken festzuhalten.
Mit zuviel Schwung könnte sie über das Geländer gestürzt sein
Fränkin
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Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von Fränkin »

Nach der Aneinanderreihung von angeblich eindeutigen Indizien war das Gericht laut des Urteils vom 19.03.24 von Sebastians Schuld überzeugt. Drei dieser Indizien möchte ich gerne einmal beleuchten.

Das ist zum einen der Promillewert von Hanna und der Resturin in Hannas Blase.

Zum Alkoholgehalt - aus dem Urteil:
„21
… Hanna W. konsumierte auch im Club „Eiskeller“ weiter alkoholische Getränke. Bei Verlassen des Clubs gegen 02:28 Uhr hatte sie eine Blutalkoholkonzentration von 2,06 Promille, ohne dass es allerdings bei ihr zu gravierenden Ausfallerscheinungen kam.“

Dagegen liest man in einem Artikel aus der Zeit (hat @catch22 in seinem Post verlinkt):

„…An diesem 3. Oktober hält die äußere Videoüberwachung der Disco fest, wie Hanna sich von Freunden verabschiedet und sich dann schwankend entfernt. Sie hat 2,06 Promille, ist also stark alkoholisiert. …“

Hanna war also sichtbar betrunken.

Die Wirkungen und Nebenwirkungen von Alkohol kann man sowohl in einschlägiger Medizinliteratur nachlesen, oder etwas allgemeinverständlicher den Ausführungen im Internet folgen, die sich mit den verschiedenen Alkoholisierungsgraden beschäftigen.

Spoiler mit weiterführenden Informationen:
Spoiler
So zum Beispiel unter https://www.null-alkohol-voll-power.de/ ... e-risiken/, hier steht:

„1 bis 2 Promille: Der Körper wehrt sich
Das Gesicht wird rot, die Pupillen werden groß. Alle körperlichen und geistigen Einschränkungen verstärken sich weiter, während die betäubte Wahrnehmung das Gegenteil vortäuscht. Das kann schnell nach hinten losgehen. Dann treten Übelkeit und Brechreiz ein, der Magen dreht sich um.

2 bis 3 Promille: Der Mensch verliert sich im Vollrausch
Sehen, Hören, Schmecken, Riechen, Fühlen: Alles ist betäubt. Nur noch der Körper steht in einer Umwelt, die unkenntlich wird. Orientierung, Kontrolle und Bewusstsein setzen aus.“
Allen Beschreibungen zu den Auswirkungen auf den Körper ab einer Blutalkoholkonzentration von 2 Promille ist gemein, dass es auf jeden Fall zu einer Einschränkung der Orientierung und bereits ab 0,8 Promille zu einem Tunnelblick (also einer Einschränkung des Gesichtsfeldes) kommt. Ebenso sinkt bei fortschreitendem Alkoholkonsum die Hemmschwelle.

Zählt man nun einzelne überall beschriebene Symptome bei einer Blutalkoholkonzentration von über 2 Promille zusammen, so ist ein unfallbedingter Sturz in den Bärbach auf jeden Fall möglich.


Zum Restharn in der Blase:

Das Thema acetylierte Glucose muss in diesem Zusammenhang erneut Erwähnung finden.
N-Acetylglucosamin findet sich in der Zellwand grampositiver Bakterien. Dazu gehören die Enterokokken, die Harnwegsinfekte verursachen. Zu einem Symptom bei einem Harnwegsinfekt zählt das häufige Wasserlassen, der sogenannten Pollakisurie.

Aus dem Urteil
„941
Im Rahmen der Obduktion sei festgestellt worden, dass sich in der Blase wenig Urin (1 ml) befunden habe. Grund dafür könne eine aktive Abgabe zu Lebzeiten sein, aber ebenso ein postmortales passives Abgeben des Urins.“

Eine vollständige (bis auf einen Milliliter) postmortale „passive“ Abgabe des Urins ist aber bei einem todesbedingten Ausfall des Musculus detrusor vesicae („Blasenentleerungsmuskel“) nicht möglich. Dieser Muskel umfasst dreidimensional die Harnblase und presst bei Kontraktion den Harn über die Engstelle des inneren Harnröhrensphinkters (das ist ein Muskel, der den Ausgang von der Blase am Blasenhals in Richtung Harnröhre verschließt) in die Urethra (= Harnröhre).

Weiterführende Informationen aus einer Doktorarbeit finden sich hier:
Spoiler
Restharnvolumina bei verschiedenen Todesarten beleuchtet die Dissertation „Der postmortale Harnblasenfüllungszustand – in Beziehung zu der Todesursache / Agoniedauer“ aus dem Jahr 2009. Die Arbeit zeigt auf, dass der Restharn-Mittelwert bei männlichen Ertrinkungsopfern 135 ml (n=5) und bei weiblichen Ertrinkungsopfern 20ml (n=2) beträgt.
Interessant ist auch die Restharnmenge bei Alkoholintoxikations-Toten. So findet man bei Männern 393 ml (n=10) und bei Frauen 127ml (n=3) Harn in den Blasen der Leichen.
Restharn.jpg
Restharn.jpg (225.54 KiB) 941 mal betrachtet
Damit ist absolut nicht mehr nachvollziehbar, woraus die Kammer schließt, dass Hanna nicht mehr aktiv Harn abgesetzt haben konnte, kurz bevor sie in den Bärbach geriet. Alle Indizien sprechen für das so gerne negierte Austreten!
Zudem spricht der geringe Mageninhalt auch für die Möglichkeit, dass Hanna sich erbrochen hat und danach in den Bärbach geriet.

Nun noch zu den Kopfverletzungen

Ich zitiere erst aus dem Buch Rechtsmedizin, B. Madea, 4. Auflage
"Wegen der weitgehenden Uniformität der Verletzungsfolgen nach stumpfen Gewalteinwirkungen sind sichere Rückschlüsse auf die Verletzungsursache und die Art der einwirkenden Gewalt häufig nicht oder nur mit Einschränkungen möglich."

Damit ist eine Beurteilung, ob ein Stein auf den Kopf oder der Kopf auf einen Stein geraten ist, auch in weiterführender Literatur als sehr schwierig beschrieben.

Noch eine Passage aus dem Buch Rechtsmedizin, B. Madea, 4. Auflage
"Leichte Gewalteinwirkungen gegen den Kopf (Bagatelltraumen) bleiben meist folgenlos und werden als „Kopfprellung“ bezeichnet. An der Kontaktstelle kann es zu Blutunterlaufungen oder Wunden kommen, wobei Kopfschwartenwunden mitunter außerordentlich stark bluten (in seltenen Fällen bis hin zur tödlichen Verblutung)."

Der Kopf von Hanna wies mehrere Wunden auf.

Genauer liest man im Urteil
„1078
Zu den Verletzungen ... Obduktion am 03.10.2022, beginnend um 23:40 Uhr, ... folgende objektive Feststellungen getroffen werden:
- Kopf:
insgesamt 5 QuetschRissWunden (ohne Schürfungen in Wundenähe) sowie (mindestens) 2 Kopfhautrötungen (Hämatome) ebenfalls ohne Schürfungen; ...“

Folgt man der Ansicht der Kammer, so müssten die Quetsch-Riss-Wunden Hanna außerhalb des Bärbaches zugefügt worden sein.

Wenn nun laut Fachliteratur (und eigentlich kann das auch jeder selber bestätigen, der schon mal eine Kopfplatzwunde gesehen hat - die bluten wirklich stark) eine Kopf-Wunde (egal ob Riss- oder Quetsch- oder Platzwunde) die Eigenschaft hat stark zu bluten - wo ist dann das Blut?

Selbst wenn es tagelang regnet, die einzelnen Bestandteile des Blutes werden nicht in Gänze weggespült. Es kommt zur Zersetzung und zum typischen Verwesungsgeruch, der von Leichenhunden aufgenommen werden kann.

Sofern man sie eingesetzt hätte!

Über das Können der Leichenhunde ein Abschnitt aus einem SZ-Artikel:

„In unseren Versuchen konnten Leichenhunde sogar noch nach einem Jahr einen Blutstropfen aufspüren. Auch, wenn die Stelle sorgfältig gereinigt wurde, riechen die Hunde das Blut. Dabei ist die benötigte Menge minimal, oft sehen wir mit freiem Auge beim besten Willen keinerlei Spuren, die Hunde melden aber trotzdem einen Fund.“

Und wieder ein Abschnitt aus dem von @catch22 in seinem Post verlinkten Zeit-Artikel:

„Es gibt keinen Tatort: Mantrailer-Hunde, die nach Geruchsspuren suchen und mit denen die Polizei die ganze Gegend abging, schlugen nirgends an. Zum "Tatort" deklarierte das Gericht schließlich ein paar Quadratmeter mit einem Baum an einer winzigen Brücke, wenige Hundert Meter vom "Eiskeller" entfernt, zwischen dem Bärbach und der Fahrbahn der Hauptstraße mitten im Wohngebiet. Etwa dort enden nämlich die Handydaten der Verstorbenen. Indes war um 2.30 Uhr auf der Hauptstraße einiges los: Immer wieder kamen Partygänger vorbei, fuhren mit dem Auto vom "Eiskeller" weg oder wurden mit dem Taxi abgeholt. Fällt man an einer so gut einsehbaren Stelle über ein Opfer her? Hundert Meter weiter hätte Hanna W. an einem kleinen Wald vorbeigemusst. Hätte ein ortskundiger Sexualverbrecher nicht eher dort zugeschlagen?“

Wären Hanna aber die Wunden am Kopf tatsächlich zu Lebzeiten beigebracht worden und hätte sie dabei die in der Literatur beschriebene Menge Blut verloren, wie kamen dann die Leichenflecken zustande?

Laut Urteil waren Leichenflecken sichtbar und bestimmt wäre im Urteil aufgenommen worden, wenn die Leichenflecken eine ungewöhnliche Form oder Ausdehnung gehabt hätten.

„989
Insgesamt ließen sich – so der Sachverständige – vorliegend die Beschreibungen bezüglich der Ausprägung von Totenstarre und Leichenflecken mit einer Liegezeit von ca. 8 Stunden und mehr plausibel vereinbaren.“

In Rechtsmedizin, R. Dettmeyer, 4. Auflage liest man

„Der Tod durch Verbluten tritt bei Erwachsenen nach einem Blutverlust ab ca. 1,5 l bzw. ab einem akuten Verlust von ca. 40 % des Blutvolumens auf.
Zeichen des Verblutens: Totenflecke von geringer Ausdehnung und Intensität (DD: Anämie!), Hervortreten der sog. Eigenfarbe der inneren Organe, Runzelung der Milzkapsel, streifige subendokardiale Blutung (sog. Verblutungsblutungen), Anämie der Haut und der Schleimhäute.“

Spannenderweise hat sich vor vielen Jahren ein Doktorand von Prof. Püschel bereits in seiner Dissertation mit dem Thema „Tod durch Verbluten - unter besonderer Berücksichtigung ungewöhnlicher Todesfälle“ mit den Kopfschwartenblutungen beschäftigt und herausgefunden, dass ein Verbluten aufgrund einer Kopfschwartenverletzung in 2% der untersuchten Fälle für den Tod ursächlich war.
Spoiler
Die Abbildung zeigt die absolute und prozentuale Häufigkeit der einzelnen Blutungsquellen. Die Summe der Prozentwerte ist größer hundert, wegen des möglichen Vorliegens von mehreren Blutungsquellen.
Blutungsquellen.jpg
Blutungsquellen.jpg (60.37 KiB) 941 mal betrachtet
Zusammengefasst gibt es an dem (den möglichen?) Tatort(en) kein Blut.

An der gesamten Bekleidung von Sebastian wurde kein fremdes Blut gefunden. Blut lässt sich auch nicht so leicht auswaschen - kennt vermutlich jeder, der eine Waschmaschine bedienen kann.

Hannas Leiche wies Leichenflecken auf, sie kann also nicht viel Blut aus den Kopfwunden verloren haben. Das lässt den möglichen Schluss zu, dass die Kopfwunden nicht zu Lebzeiten entstanden sein können.
Gast

Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von Gast »

Damit ist absolut nicht mehr nachvollziehbar, woraus die Kammer schließt, dass Hanna nicht mehr aktiv Harn abgesetzt haben konnte, kurz bevor sie in den Bärbach geriet. Alle Indizien sprechen für das so gerne negierte Austreten!
Zudem spricht der geringe Mageninhalt auch für die Möglichkeit, dass Hanna sich erbrochen hat und danach in den Bärbach geriet.
Erbrochenes an Land hätte man gefunden, d h sie hätte dann über das Geländer in den Bach erbrochen.
Wenn man sich nicht genug vorbeugt läuft einem der Sapper runter was aber an der Kleidung im Wasser nicht mehr nachzuweisen ist.
Leere Blase und leerer Magen bedeutet:
Noch im Eiskeller aufs Klo oder am Kriegerdenkmal oder an den abgestellten Autos, denn am Brückel kann jedes Auto reinleuchten und Slip sass ja noch fest.

Da Kotzen eine grössere Sauerei ist wie Pissen könnte ich mir eher vorstellen dass sie an das Bachgeländer ging.

Hier eine Studie zum Kotzen
https://youtu.be/eg6ISsxvES0?t=192
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Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von Klugscheißer »

Catch22 hat geschrieben: Sonntag, 02. März 2025, 00:20:40 @Gast0815

Das Problem beschreibst Du ganz richtig. Nur bei der Abgrenzung der beiden „Stufen“ scheint mir die Trennung zu verschwimmen.

Auf der ersten „Stufe“, der Beweiserhebung, werden Indizien gesammelt. Auch entlastende Indizien zählen dazu. Für jedes einzelne Indiz ist Beweis zu erheben.

...
Erst mal sammelt die Staatsanwaltschaft alles, Indizien, Beweise und baut daraus die Anklage.
Das Gericht entscheidet, ob die Anklage zugelassen wird.
Im Prozess erfolgt die Beweiserhebung. Da werden dann gegebenenfalls aus Indizien Beweise.
Die Beweiswürdigung liegt dann am Schluss bei den (hier fünf) Richtern.
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Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von Fränkin »

Gast hat geschrieben: Montag, 10. März 2025, 23:49:12 Erbrochenes an Land hätte man gefunden, d h sie hätte dann über das Geländer in den Bach erbrochen.
Genau. Erbrochenes an Land hätte man gefunden.
Und ebenso hätte man auch das Blut aus den angeblich außerhalb des Baches beigebrachten Kopfverletzungen finden müssen.

Nun könnte man natürlich argumentieren, dass sich Hanna und Sebastian beim Beibringen der Kopfverletzungen (wenn Sebastian der mit einem Stein bewaffnete Angereifer wäre) beide bereits im Bärbach befanden und die angeblich durch "Aufspringen auf die Schulterblätter mit den Knien" zugefügten Brüche der Akromien ohne jeden Blutverlust außerhalb des Bärbaches entstanden waren, aber wäre das nicht ein wenig arg konstruiert?
Anna Sirkka

Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von Anna Sirkka »

Ich war länger nicht hier:

Ist eigentlich mal intensiver dem Aspekt nachgegangen worden, ob ein bewusstloser/toter Körper von den Maßen und dem Gewicht Hannas ohne jeden Zweifel die Prien erreichen können, selbst wenn der Bärbach angeblich 1,40m Wassertiefe gehabt haben soll zur Tatzeit?

Normal bei treibenden Körpern ist, dass sie die Tendenz haben, sich quer zur Stromrichtung zu bewegen.

Begeht man die Brücke an der Mündung des Bärbachs, so ist die Wassertiefe sehr gering, weil dort ein riesiger Stein/Fels liegt. Daran hätte Hanna auf ihrer Reise bis zum Fundort auch zweifelsfrei dran vorbeikommen müssen.

Die Fragexalso ist, ob Hanna trotz Hochwasser zweifelsfrei in der bekannten Zeit diese bekannte Strecke leblos zurückgelgt haben kann, zweifelsfrei.
Fränkin
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Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von Fränkin »

Anna Sirkka hat geschrieben: Donnerstag, 13. März 2025, 22:43:44 Normal bei treibenden Körpern ist, dass sie die Tendenz haben, sich quer zur Stromrichtung zu bewegen.
Ein Körper, der sich in einem fließenden Gewässer befindet, richtet sich in der Regel mit der Strömung aus, weil die Strömungskräfte (siehe Spoiler) auf ihn wirken. Wenn der Körper mit dem Kopf voran schwimmt, reduziert das den Widerstand, den er gegen die Strömung hat.
Spoiler
1. Druckkraft: Wenn Wasser fließt, übt es Druck auf Objekte aus, die sich im Wasser befinden. Der Druck ist an der Vorderseite des Körpers höher als an der Rückseite, was dazu führt, dass der Körper in die Richtung der Strömung gedrückt wird.

2. Reibungskraft: Diese Kraft entsteht durch die Wechselwirkung zwischen dem Wasser und der Oberfläche des Körpers. Sie wirkt der Bewegung entgegen und hängt von der Form, Größe und Textur des Körpers sowie von der Geschwindigkeit des Wassers ab.

3. Auftriebskraft: Diese Kraft wirkt nach oben und entsteht durch den Unterschied im Druck zwischen der Ober- und Unterseite des Körpers. Sie ist besonders wichtig für Lebewesen wie Fische, die im Wasser schwimmen. Der Auftrieb hilft ihnen, im Wasser zu bleiben und nicht zu sinken.

4. Inertialkraft: Wenn sich ein Körper in der Strömung bewegt, erfährt er eine Trägheit, die ihn dazu bringt, sich in einer geraden Linie weiter zu bewegen, es sei denn, eine andere Kraft wirkt auf ihn ein. Diese Kraft kann dazu führen, dass der Körper in Kurven schwimmt, wenn die Strömung sich ändert.

5. Turbulente Strömung: In vielen Gewässern ist die Strömung nicht gleichmäßig, sondern turbulent. Dies bedeutet, dass es Wirbel und unregelmäßige Bewegungen gibt, die die Kräfte auf den Körper zusätzlich beeinflussen können.
Diese Kräfte wirken zusammen und bestimmen, wie sich ein Körper im Wasser verhält.

Die Strömung übt Druck auf die Vorderseite des Körpers aus, während die Rückseite weniger Druck erfährt. Dies führt dazu, dass der Körper in die Richtung der Strömung gezogen wird.

Ein wenig physikalischer wird es hier:
Spoiler

1. Strömungsdynamik: Wenn ein Körper in einer Strömung ist, erfährt er unterschiedliche Kräfte, die auf seine Oberfläche wirken. Der Druck auf der Vorderseite des Körpers ist in der Regel höher als auf der Rückseite, was dazu führt, dass der Körper in die Richtung der Strömung gedrückt wird. Wenn der Körper mit dem Kopf voran ausgerichtet ist, kann er den Widerstand minimieren und effizienter durch das Wasser gleiten.

2. Minimierung des Widerstands: Die Form des Körpers spielt eine entscheidende Rolle. Ein Körper, der mit dem Kopf voran schwimmt, hat eine stromlinienförmige Form, die den Wasserwiderstand verringert. Dies ist besonders wichtig für Lebewesen wie Fische, die sich anpassen, um Energie zu sparen und schneller zu schwimmen.

3. Auftrieb: Bei vielen Lebewesen, wie Fischen, ist die Ausrichtung mit dem Kopf voran auch mit der Auftriebskraft verbunden. Die Flossen und die Körperform sind so gestaltet, dass sie den Auftrieb maximieren, wenn der Körper in dieser Position ist. Dies hilft, im Wasser zu bleiben und nicht zu sinken.

4. Stabilität: Die Ausrichtung mit dem Kopf voran kann auch die Stabilität des Körpers in der Strömung erhöhen. Wenn der Körper in dieser Position ist, kann er besser auf Veränderungen in der Strömung reagieren und seine Position anpassen.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Ausrichtung eines Körpers mit dem Kopf voran in einer Strömung durch eine Kombination aus Strömungsdynamik, Widerstandsminimierung, Auftrieb und Stabilität beeinflusst wird.

Der Körper treibt also nicht quer.
Gast

Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von Gast »

Einfach mal Stöckchen in Bach werfen.

Bei den vielen Felsen und Wehren wird sich der Körper öfters gedreht haben und hat sich dann wieder ausgerichtet .

Nur gefundene persönliche Gegenstände können annehmen lassen, dass sie in diesem Gewässerabschnitt war.
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