MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

ÖFFENTLICHE DISKUSSION
Fälle: Anja Aichele, Ayleen Ambs, Vierfachmord von Annecy 2012, Bärbel B. (Bremerhaven) u. Ingrid R. (Bremen), Annika Brill, Tristan Brübach, Christoph Bulwin, Anne D. (Lorch), Suzanne Eaton, Michaela Eisch, Victor Elling, Sonja Engelbrecht, Trude Espas, Regina Fischer, Abby G. & Libby W. (USA-Indiana), Maren Graalfs, Valeriia Gudzenko, Mara-Sophie H. (Kirchdorf), Marion & Tim Hesse, Jutta Hoffmann, Bärbel K. (Lübeck), Peggy Knobloch, Cindy Koch, Martina Gabriele Lange, Lola (FR-Paris), Karl M. (Berlin), Khadidja M. (Ingolstadt), Stefan M. (Salzgitter), Jelena Marjanović, Margot Metzger, Karin N. (Borchen), N. N. (Lampertheim), Gabby Petito, Heike Rimbach, Elmar Rösch, Gustav Adolf Ruff, Carina S. (Iserlohn), Hannah S. (Hamm), Lena S. (Wunsiedel), Gabriele Schmidt, Mord in Sehnde-Höver, Yasmin Stieler, Simone Strobel, Elisabeth Theisen, Karsten & Sabine U. (Wennigsen), Nicky Verstappen, Hanna W. (Aschau)
Catch22
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Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von Catch22 »

Kalle hat geschrieben: Sonntag, 23. Februar 2025, 07:10:00 … Der unbekannte Tote war bis auf Socken und Schuhe unbekleidet.
Dieses Phänomen scheint etwa in Kreisen der Feuerwehr und Wasserwacht nicht unbekannt zu sein. Die für die Revision spannende Frage ist: Gibt es einen Erfahrungssatz, demzufolge es unter bestimmten Faktoren nahezu immer so ist?

Der Widerspruch zu einem anerkannten Erfahrungssatz stellt einen Revisionsgrund dar:

Spoiler – hier klicken!
Catch22 hat geschrieben: Samstag, 09. März 2024, 20:38:00 … Unterläuft dem Gericht … ein Verstoß gegen Denkgesetze (also gegen die Logik) oder stellt es sich in Widerspruch zu einem anerkannten Erfahrungssatz (z. B. richtig: „Flüssiges Wasser ist nass.“ – oder falsch: „Benzindämpfe werden durch eine glühende Zigarette immer entflammt.“), dann ist das Urteil in der Revision angreifbar. Gleiches gilt bei Widersprüchen innerhalb der Urteilsgründe, bei lückenhaften Feststellungen oder wenn der Beweiswert einzelner Indizien verkannt wurde. …

Nicht ganz einschlägig: RAin Rick hatte beantragt, einen Feuerwehrler zu hören bzgl. des tödlichen Sturzes eines Mannes in den Bärbach. Der Beweisantrag wurde abgelehnt.


Fränkin hat geschrieben: Sonntag, 23. Februar 2025, 11:11:39 … Mit Sicherheit sinkt hier der Blutdruck nicht! Nein, er steigt!
Sowohl die Conclusio als auch deren Herleitung sind simpel, plausibel und logisch. Als blutiger Laie jedoch wäre ich nicht von alleine drauf gekommen. Danke!

Welchen Einfluss nimmt nun aber ein steigender Blutdruck auf die Herzleistung, auf die Synchronisierung von Atmung und Bewegung, auf die Handlungsfähigkeit und schließlich auf den Ertrinkensvorgang? Beschleunigend, verzögernd oder neutral?

Möglicherweise auch hier wieder: ein Revisionsgrund (Verstoß gegen die Logik, siehe oben im Spoiler).


gastxyz..me hat geschrieben: Sonntag, 23. Februar 2025, 12:04:32 … wurde dieser fehler angesprochen oder ausgeräumt, erklärt im urteil/gutachten/irgendwo ? …
Antworten auf Deine Fragen (Todeszeitpunkt, Glukose, Hämatome) findest Du zunächst im Urteil. Zum Teil werden dadurch neue Fragen aufgeworfen. Am besten wird es sein, Du liest das gesamte Urteil erst einmal selbst.

Als kleiner Vorgeschmack ein Auszug daraus zu acetylierter Glukose im Urin als agonaler Effekt:

Spoiler – hier klicken!

Rdnr. 903 (Beweiserhebung, Gutachten)
[903] Bei der Untersuchung des Urins sei acetylierte Glukose (> 180 mg/dL) aufgefunden worden. Dies weise auf das Vorliegen einer Hyperglykämie („Überzucker“) zum Zeitpunkt des Ablebens hin, da Glukose erst bei Überschreiten der sog. „Nierenschwelle“ (ab einer Glukosekonzentration im Blut von ca. 150-180 mg/dL) in relevanter Konzentration im Urin nachzuweisen sei. Dies lasse sich als agonaler Effekt interpretieren, bedingt durch einen Adrenalinausstoß, etwa durch Stress bzw. Angst.

Rdnr. 1105–1106 (Beweiswürdigung)
[1105] Der hohe Glucosewert (acetylierte Glukose) im Urin der verstorbenen Hanna W., der von der Sachverständigen … festgestellt wurde (Ziff. D. II. 18.3.2.), weist auf das Vorliegen einer Hyperglykämie („Überzucker“) zum Zeitpunkt des Ablebens hin, da Glukose erst bei Überschreiten der sog. „Nierenschwelle“ in relevanter Konzentration im Urin nachzuweisen ist. Dies kann – so … – als agonaler Effekt interpretiert werden, bedingt durch einen Adrenalin-Ausstoß, etwa verursacht durch Stress bzw. Angst.

[1106] Dass der Stress bzw. die Angst nicht durch ein Unfallgeschehen, ein Fallen in das Gewässer im Rahmen des Austretens erfolgte (so die Behauptung der Verteidigung), ergibt sich bei Inbezugsetzung zu der festgestellten geringen Sekretmenge im Magen: Wäre Hanna W. beim Austreten aus Ungeschick ins Gewässer gefallen, wäre sie noch nicht bewusstlos gewesen, d.h., wäre sie dann ertrunken, hätte sich mehr Wasser/Flüssigkeit in ihrem Magen befunden. Der hohe Glukosewert wurde damit nicht durch ein Unfallgeschehen ausgelöst, sondern durch das Tatgeschehen.
Fränkin
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Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von Fränkin »

Catch22 hat geschrieben: Sonntag, 23. Februar 2025, 14:14:08 "[1105] Der hohe Glucosewert (acetylierte Glukose) im Urin der verstorbenen Hanna W., der von der Sachverständigen … festgestellt wurde (Ziff. D. II. 18.3.2.), weist auf das Vorliegen einer Hyperglykämie („Überzucker“) zum Zeitpunkt des Ablebens hin, da Glukose erst bei Überschreiten der sog. „Nierenschwelle“ in relevanter Konzentration im Urin nachzuweisen ist. ..."
Bis hierher alles logisch und richtig.
Catch22 hat geschrieben: Sonntag, 23. Februar 2025, 14:14:08 " [1105] ... Dies kann – so … – als agonaler Effekt interpretiert werden, bedingt durch einen Adrenalin-Ausstoß, etwa verursacht durch Stress bzw. Angst."
"Kann" - ist auch richtig. Aber es wird ja jede andere Möglichkeit, da sie unerwähnt bleibt, quasi ausgeschlossen.

Beispiele für Gründe von Hyperglycämien:
Morbus Cushing (erhöhter Cortisonspiegel), Akromegalie (erhöhter Wachstumshormonspiegel), Phäochromozytom (erhöhte Spiegel von Adrenalin und Noradrenalin), Hyperthyreose (Überversorgung des Körpers mit den Schilddrüsenhormonen z.B. infolge eines Morbus Basedow), Eisenablagerungen in den Betazellen des Pankreas (Hämochromatose), verschiedene Medikamente, Alkohol, Infekte, nach Herzinfarkt, nach Apoplex, nach Narkosen, etc.
Dann gibt es noch einen für den Patienten ansonsten eher symptomlosen Grund für Glucose im Urin: eine Fehlfunktion der tubulären Zellen der Nieren, welche die Wiederaufnahme von Glukose vermindert.

Bis die Glucose im Urin adrenalinbedingt auf über 180 mg/dl ansteigt, muss schon eine ziemliche Weile der Körper unter Stress gesetzt worden sein. Es scheint also im Falle von Hanna der durch Stress bedingte erhöhte Adrenalinspiegel nicht ursächlich für den hohen Glucosespiegel im Urin gewesen zu sein, wenn man davon ausgeht, dass der Tod nicht länger als ein oder mehr Stunden nach dem Verlassen des Eiskellers eingetreten ist.
Catch22 hat geschrieben: Sonntag, 23. Februar 2025, 14:14:08 "[1106] Dass der Stress bzw. die Angst nicht durch ein Unfallgeschehen, ein Fallen in das Gewässer im Rahmen des Austretens erfolgte (so die Behauptung der Verteidigung), ergibt sich bei Inbezugsetzung zu der festgestellten geringen Sekretmenge im Magen: Wäre Hanna W. beim Austreten aus Ungeschick ins Gewässer gefallen, wäre sie noch nicht bewusstlos gewesen, d.h., wäre sie dann ertrunken, hätte sich mehr Wasser/Flüssigkeit in ihrem Magen befunden. Der hohe Glukosewert wurde damit nicht durch ein Unfallgeschehen ausgelöst, sondern durch das Tatgeschehen.
Der hohe Glukosewert im Urin hat mit dem Unfallgeschehen vermutlich ähnlich viel zu tun wie ein Regentanz in Südafrika mit dem Schneefall in den Alpen einen Monat später.
Catch22
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Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von Catch22 »

Fränkin hat geschrieben: Sonntag, 23. Februar 2025, 16:53:12 … es wird ja jede andere Möglichkeit [als Ursache einer Hyperglykämie], da sie unerwähnt bleibt, quasi ausgeschlossen. …
Um das zu verstehen, muss man die alternativen Ursachen erst einmal kennen. Ich wusste (wie bestimmt viele andere auch) nicht Bescheid. Strategie des Gerichts: weglassen, was die eigene, vorgefasste Sichtweise stört. Der Mief von Befangeneit beißt in der Nase.

Fränkin hat geschrieben: Sonntag, 23. Februar 2025, 16:53:12 … Bis die Glucose im Urin adrenalinbedingt auf über 180 mg/dl ansteigt, muss schon eine ziemliche Weile der Körper unter Stress gesetzt worden sein. …
Auch das leuchtet ein, war mir aber bislang unbekannt. Danke für die Aufklärung und herzlich willkommen im Hanna-Thread!

Immer mehr dämmert mir, weshalb das Gericht die Hinzuziehung des Hamburger Rechtsmediziners Püschel abwürgte und der Nebenklagevertreter Holderle Strafanzeigen gegen RAin Rick abfeuerte.

Fränkin hat geschrieben: Sonntag, 23. Februar 2025, 16:53:12 … Der hohe Glukosewert im Urin hat mit dem Unfallgeschehen vermutlich ähnlich viel zu tun wie ein Regentanz in Südafrika mit dem Schneefall in den Alpen …
Außer man vertraut auf Koinzidenzen, die man selbst gefälscht hat (frei nach Dr. Goebbels).
Kalle
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Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

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Catch22 hat geschrieben: Sonntag, 23. Februar 2025, 14:14:08 Dieses Phänomen scheint etwa in Kreisen der Feuerwehr und Wasserwacht nicht unbekannt zu sein. Die für die Revision spannende Frage ist: Gibt es einen Erfahrungssatz, demzufolge es unter bestimmten Faktoren nahezu immer so ist?

Der Widerspruch zu einem anerkannten Erfahrungssatz stellt einen Revisionsgrund dar:
Soweit würde ich nicht gehen. Aber es ist dafür auch keine Sachverständigen Spekulation erforderlich. Es ist legitiim die Voraussetzungen für diesen Vorgang zu beschreiben. Leider war aber der Hydrohysteriker sich nicht seiner Verantwortung darüber bewusst, dass eine Aussage zur Wahrscheinlichkeit seinerseits genauso spekulativ und irreleant ist, wie von jedem anderen "mit Hausverstand" auch. ER WEISS NICHT vieviele derartige Fälle es gab und wenn er sich nicht damit beschäftigt hat, gibt es auch nichts dazu zu sagen.

Nur leider tendiert Mensch insbes. vor Gericht dazu, dass wenn so ein Unantastbarer sagt "eher unwahrscheinlich" es unter "ok war nicht so" abzuspeichern. Sprich das Thema darf sich brav weiter in die Indizienreihe einreihen, die die Anklage eben gerne hört. Ein "kann ich nicht beurteilen", wäre m.E. angemessen gewesen.

Was würde jetzt im Urteil stehen, wenn ein langjährig tätiger Mensch von der "Front" im Rettungsdienst, gesagt hätte "das kommt schon mal vor".

Die Frage hätte sich ggf. in der Ermittlungsarbeit gleichermaßen beantworten können. Man recherhiere halt alle Fälle von Leichenfunden in fließenden Gewässern. Wieviele waren das die letzten 20 Jahre ? Tausende ? Einige werden (teilweise) ihre Kleidung auch nachweislich verloren haben. Über die Schuhe, sicher eher wenige. Ich denke der Fall ist wohl selten, und wenn, dann vermutlich in turbulenten Gewässern. Aber vermutlich gibt es solche Filterungen in den Polizei-Datenbanken nicht und/oder die Arbeit wollte sich keiner machen.

Aber reicht jetzt eine deratige Einschätzung als ausreichender Zweifel (Zweifel beruhen immer auf wenig Anhaltspunkten) zumindest gegen die Anschuldigung "sexuelles Motiv" ? Wann ist ein Zweifel "ausreichend", wann "erlaubt" wann eine "Erfahrung". 1 Promille, 1 Prozent, 10 Prozent, 30 Prozent. Darf man die Wahrscheinlichkeiten und Unwahrscheihlichkeiten aller Indizien miteinander kombinieren ? Was kommt dann raus ? Die Unschuldsvermutung ist eben auch nur eine Vermutung, und der Zweifelbegriff zweifelhaft.
gastxyz..me

Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von gastxyz..me »

Kalle hat geschrieben: Sonntag, 23. Februar 2025, 18:11:50Die Frage hätte sich ggf. in der Ermittlungsarbeit gleichermaßen beantworten können. Man recherhiere halt alle Fälle von Leichenfunden in fließenden Gewässern. Wieviele waren das die letzten 20 Jahre ? Tausende ? Einige werden (teilweise) ihre Kleidung auch nachweislich verloren haben. Über die Schuhe, sicher eher wenige.
..bei hanna müsste man in sachen kleidung ggf auch berücksichtigen, dass diese hose vermutlich nicht normal wasserdurchlässig war.
..das sich fäulnisgase großartig ausgewirkt haben, ist wohl auszuschließen, denn sie war ja nur ca 12 stunden im wasser..
56. Frage - Stand: 21.02.2023 / seite 32

Es steht, dass Wasserleichen oft durch physikalische Einflüsse entkleidet werden. Ich nehme an
hier kann es auch zu Hautwunden kommen. Besteht hier die Möglichkeit festzustellen, ob diese
postmortem durch die Physik entstanden sind oder noch zu Lebzeiten?

Antwort:
Gute Frage! Ja, das ist hier bei uns sogar sehr häufig der Fall, denn mit der Aare, der Emme, der
Kiene, etc. haben wir zahlreiche Fliessgewässer im Kanton. Und in Fliessgewässern kommt es
nicht selten zum Entkleiden.


Aber es kommt auch zu postmortalen Treibverletzungen. Und die
finden sich typischerweise an der Stirn und im Gesicht, an den Streckseiten der Hände und
Unterarme sowie an den Streckseiten der Beine.

Der Grund dafür liegt in den Gasen, welche im
Darm sind, bzw. auch der Luft die noch in den Lungen ist. Beides sorgt für einen gewissen Auftrieb
am Rumpf, der allenfalls noch nicht genügt, um den Leichnam bis an die Wasseroberfläche
steigen zu lassen (das passiert erst, wenn die Fäulnisgasbildung stark genug war, im Sommer in
der Aare nach etwa 5 Tagen). Aber es führt dazu, dass der Körper in Bauchlage mit nach unten
hängendem Kopf und nach unten hängenden Armen und Beinen Kopf voran über den Grund des
Gewässers gezogen wird. In etwa so:

[nicht linkbares bild mit einer wasserleiche: bäuchlings, hintern höchster punkt an der wasseroberfläche, kopf unter wasser, arme nach unten hängen]

Deswegen die typische Verteilung und natürlich zeigen diese Schürfungen dann auch keine
Vitalzeichen (Unterblutungen etc.). Viele der Aareleichen haben solche postmortalen
Treibverletzungen.

https://www.irm.unibe.ch/unibe/portal/f ... 23_ger.pdf
..also beim tsunami in asien meine ich mich zu erinnern, dass ziemlich alle komplett nackt waren und sämtliche knochen gebrochen hatten...
waren aber natürlich auch andere wassergewalten..
gastxyz..me

Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von gastxyz..me »

.. zu den HÄMATOMEN ..

wenn ich mich recht erinnere... wurde gesagt oder ich hatte sonstwo gelesen, dass eine leiche irgendwo liegen muss, damit sich hämatome bilden können. weil das eine art BLUTSTAU ist. also richtig weiche unterlage tut es auch nicht, soweit ich das verstanden habe.

Wie konnten sich solche brutalen hämatome bilden, da der angriff nur wenige minuten dauerte - und und sie dann 12 stunden im wilden gebirgsfluss getrieben ist :?:
nach meiner erinnerung waren das sehr heftige hämatome, nichts was irgendwo normal ist. eigentlich unerklärlich.
79. Frage / Stand 21.02.203 / Seite 42

...tritt bei Flussleichen die Totenstarre oft nicht auf, da sie dauernd bewegt wird und sich somit keine Starre ausbilden kann.

Ausserdem bildet sich die Fäulnis verzögert, also ca. erst nach 2 Wochen aus.

Wie verhält es sich nun also mit den Totenflecken? Und wie kann man den sicheren Tod einer
Flussleiche feststellen?

Antwort:
Sie haben Recht, die Totenstarre kann je nach konkretem Fliessverhalten während der Ausbildung
permanent gebrochen werden und sich deswegen allenfalls gar nicht ausbilden
.

Wenn der Körper aber z.B. einfach ruhig in der typischen Treibhaltung (Bauchlage mit nach unten hängenden
Armen, Beinen und Kopf) längere Zeit im Wasser treibt, dann kann sich auch die Starre ausbilden.
Nur die Körper, die ständig "durchbewegt" werden, können nicht starr werden.
Das mit der Fäulnis ist so nicht ganz korrekt. Das hängt sehr von der Wassertemperatur ab. In sehr
kalten Gewässern kommt die Fäulnis verzögert, in warmen entsprechend beschleunigt. Die
Temperaturen der Aare in dieser Zeit verursachen eine Fäulnisgeschwindigkeit, welche ziemlich
genau 5 Tage braucht, um ausreichend Fäulnisgase gebildet zu haben, damit ein untergegangener
Leichnam wieder auftaucht.

Mit den Totenflecken ist es ähnlich wie mit der Totenstarre. Das hängt sehr vom konkreten
Ausmass der Bewegung ab. Wenn der Körper nicht permanent in einem Strudel bewegt wird und
einfach nur im Fluss treibt, werden sich auch dezente (der Wasserdruck wirkt ja von aussen etwas
dagegen) Totenflecken
bilden.

https://www.irm.unibe.ch/unibe/portal/f ... 23_ger.pdf
Catch22
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Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von Catch22 »

Kalle hat geschrieben: Sonntag, 23. Februar 2025, 18:11:50 … Man recher[c]hiere halt alle Fälle von Leichenfunden in fließenden Gewässern. … Einige werden (teilweise) ihre Kleidung auch nachweislich verloren haben. Über die Schuhe, sicher eher wenige. Ich denke der Fall ist wohl selten, und wenn, dann vermutlich in turbulenten Gewässern. …
Hinsichtlich der Revision ging es mir darum, ob unter bestimmten Faktoren ein Erfahrungssatz zum Abstreifen der Kleidung besteht, z. B.

► in fließenden Gebirgsgewässern,
► bei Hochwasser,
► bei starker Strömung,
► bei Strudeln,
► bei Sogwirkung.

Der Verstoß gegen einen „anerkannten Erfahrungssatz“ bringt ein Urteil in der Revision relativ leicht zu Fall. (Sich „nur“ auf Logikfehler, Widersprüche oder lückenhafte Feststellungen berufen zu können, verlangt vom Revisionsführer eine viel komplexere Argumentation.)

Kalle hat geschrieben: Sonntag, 23. Februar 2025, 18:11:50 … reicht … eine deratige Einschätzung als … Zweifel … gegen die Anschuldigung …? Wann ist ein Zweifel "ausreichend" …
Hier ist etwas vermengt, was nicht zusammengehört.

Der Zweifelssatz „in dubio pro reo“ steht in der Tatsacheninstanz (also beim LG) am Ende der Beweiswürdigung (also nach der Beweisaufnahme), wenn bei der richterlichen Überzeugungsbildung sogenannte vernünftige Zweifel an der Schuld des Angeklagten bleiben.

In der Revisionsinstanz dagegen gibt es keine Beweisaufnahme (und demzufolge auch keine Beweiswürdigung). Geprüft wird nur, ob der Vorinstanz ihrerseits bei der Beweiswürdigung Fehler unterlaufen sind (z. B. Logikfehler, Widersprüche). Abseits derartiger Fehler ist in der Revision keine Angriffsfläche geboten. Denn die richterliche Überzeugung der Vorinstanz darf nicht durch die der Revisionsinstanz ersetzt werden, nur weil das Revisionsgericht zu einer anderen Bewertung festgestellter Tatsachen gelangt. (Zur Aufklärung und Feststellung weiterer Tatsachen dient die Zurückverweisung an die Tatsacheninstanz durch das Revisionsgericht.)

Ich hoffe, ich konnte das einigermaßen verständlich rüberbringen. Es ist viel einfacher, als es klingt.

Kalle hat geschrieben: Sonntag, 23. Februar 2025, 18:11:50 … Hydrohysteriker …
:lol: :lol: :lol: :lol:
gastxyz..me

Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von gastxyz..me »

Catch22 hat geschrieben: Sonntag, 23. Februar 2025, 17:43:57 Um das zu verstehen, muss man die alternativen Ursachen erst einmal kennen. Ich wusste (wie bestimmt viele andere auch) nicht Bescheid. Strategie des Gerichts: weglassen, was die eigene, vorgefasste Sichtweise stört. Der Mief von Befangeneit beißt in der Nase.

Auch das leuchtet ein, war mir aber bislang unbekannt. Danke für die Aufklärung und herzlich willkommen im Hanna-Thread!

Immer mehr dämmert mir, weshalb das Gericht die Hinzuziehung des Hamburger Rechtsmediziners Püschel abwürgte und der Nebenklagevertreter Holderle Strafanzeigen gegen RAin Rick abfeuerte.

Außer man vertraut auf Koinzidenzen, die man selbst gefälscht hat (frei nach Dr. Goebbels).
mMn ein missverständnis, @catch22
@fränkin brachte beispiele für eine hohe blutglukose. hanna hatte keine hohe blutglukose.
hannas blutglukose war normal, nur die urin-glukose war es absolut nicht.

dazu gibt es keine wirkliche medizinische erklärung, die ich finden konnte.
das gericht versuchte, die hohe uringlukose mit hohem adrenalin zu erklären. das adrenalin hätte die resorption der blutglukose verhindert. also bottomline funktioniert wie ein nierenschaden. dazu konnte ich auch nichts finden.
außerdem müsste so ziemlich jedes mordopfer, fallschirmspringer, unfallopfer mit einer sehr hohen uringlukose auffallen.
ist aber nicht so. konnte jedenfalls nichts dazu finden.

die hohe uringlukose ist - soweit ich das recherchiert habe - nur mit nierenfehlfunktionen oder speziellen nierentumoren zu erklären.
hanna hatte sowas nicht, wurde gesagt.

zusammen mit den merkwürdigen hämatomen (im fließenden gewässer), siehe mein posting oben, ergibt sich für mich [1] ein bild von einer sterbenden, die ein paar stunden NICHT IM WASSER lag.

mit
- dem riesen-hämatom am rücken
- den eingeschränkten nieren
könnte man an etwas schweres denken, das auf ihrem rücken lag. gullydeckel, z.b.
womit eben die nierenfunktion rein mechanisch eingeschränkt wurde.

das mit dem todeszeitpunkt war auch merkwürdig. wer-auch-immer-das-war dachte ja zunächst, der mord wäre FRÜHER passiert.
weil die temperatur nicht stimmte, oder weil die leichenstarre zu weit fortgeschritten war ?
hätte sie noch 2 stunden im freien gelegen (nicht im wasser), dann wäre die leichenstarre weiter fortgeschritten gewesen. super passend zu einem früheren todeszeitpunkt wie die 1te annahme (die ja von sofortiger wasserverbringung ausging).

[1] nicht-mediziner, nicht-interessierte, lediglich recherche
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Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von Catch22 »

gastxyz..me hat geschrieben: Sonntag, 23. Februar 2025, 20:54:50 … @fränkin brachte beispiele für eine hohe blutglukose. hanna hatte keine hohe blutglukose. …
Was meinst Du, durch welches Medium und auf welchem Weg Glukose in den Urin gelangen könnte?

Im Übrigen macht es keinen Sinn, sich in luftige Spekulationen (etwa über Glukose, Hämatome und den Todeszeitpunkt) zu versteigen, ohne das Urteil je gelesen zu haben. Den Weg dorthin kennst Du.
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Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von Fränkin »

gastxyz..me hat geschrieben: Sonntag, 23. Februar 2025, 20:54:50 @fränkin brachte beispiele für eine hohe blutglukose. hanna hatte keine hohe blutglukose.
hannas blutglukose war normal, nur die urin-glukose war es absolut nicht.

dazu gibt es keine wirkliche medizinische erklärung, die ich finden konnte.
Fränkin hat geschrieben: Sonntag, 23. Februar 2025, 16:53:12 ... Dann gibt es noch einen für den Patienten ansonsten eher symptomlosen Grund für Glucose im Urin: eine Fehlfunktion der tubulären Zellen der Nieren, welche die Wiederaufnahme von Glukose vermindert. ...
Doch lieber @gastxyz..me, die Fränkin hat da sehr wohl ein Beispiel für hohe Glukosewerte im Urin gebracht, die nicht mit einer hohen Blutglukose einhergehen.
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Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von gastxyz..me »

@fränkin
die gründe für hohe urin-glukose hatte ich bereits genannt.

@catch22
hatte deine überflüssige blutglukose-liste offensichtlich fehlinterpretiert und wild losgeklatscht.
die erklärt natürlich nicht die urin-glukose.


Fränkin hat geschrieben: Sonntag, 23. Februar 2025, 16:53:12 Bis die Glucose im Urin adrenalinbedingt auf über 180 mg/dl ansteigt, muss schon eine ziemliche Weile der Körper unter Stress gesetzt worden sein.
bitte die quelle dazu.
nach dem was ich gelesen hab, stimmt das nicht.
die urin-glukose geht bei gesunden leuten überhaupt nicht nennenswert hoch. der körper kann das handeln, sofern gesund.
hanna war nicht nierenkrank, das wurde im gericht besprochen. oder hast du da andere informationen ?

Fränkin hat geschrieben: Sonntag, 23. Februar 2025, 16:53:12 ..wenn man davon ausgeht, dass der Tod nicht länger als ein oder mehr Stunden nach dem Verlassen des Eiskellers eingetreten ist
wie kommst du auf todeseintritt 1-2 stunden nach dem verlassen des eiskellers :shock:
und davon auch noch 1-2 stunden stress ?

Stress hanna = angriff bis bewusstlosigkeit = 10 minuten
weil:
02:32 Angriff start: da versinkt das handy im wasser und hanna ist etwa auf höhe der einfahrt/ausfahrt vom parkplatz
02:42 Jogger daheim am daddeln
+ 4-5 Minuten (laut urteil) zum sterben im bach
also insgesamt Angriff bis Tod = ca 15 minuten

Fränkin hat geschrieben: Sonntag, 23. Februar 2025, 16:53:12 Es scheint also im Falle von Hanna der durch Stress bedingte erhöhte Adrenalinspiegel nicht ursächlich für den hohen Glucosespiegel im Urin gewesen zu sein..
.. wie erklärst du dir diesen hohen urin-glukose-wert ?
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Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von Catch22 »

gastxyz..me hat geschrieben: Montag, 24. Februar 2025, 00:52:54 @catch22
hatte deine überflüssige blutglukose-liste offensichtlich fehlinterpretiert …
Welche „überflüssige Blutglukose-Liste“ soll das sein? Eine solche Liste habe ich nicht verfasst!
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Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von Kalle »

Catch22 hat geschrieben: Sonntag, 23. Februar 2025, 20:14:53 Hier ist etwas vermengt, was nicht zusammengehört.

In der Revisionsinstanz dagegen gibt es keine Beweisaufnahme (und demzufolge auch keine Beweiswürdigung). Geprüft wird nur, ob der Vorinstanz ihrerseits bei der Beweiswürdigung Fehler unterlaufen sind (z. B. Logikfehler, Widersprüche). Abseits derartiger Fehler ist in der Revision keine Angriffsfläche geboten. Denn die richterliche Überzeugung der Vorinstanz darf nicht durch die der Revisionsinstanz ersetzt werden, nur weil das Revisionsgericht zu einer anderen Bewertung festgestellter Tatsachen gelangt. (Zur Aufklärung und Feststellung weiterer Tatsachen dient die Zurückverweisung an die Tatsacheninstanz durch das Revisionsgericht.)

Ich hoffe, ich konnte das einigermaßen verständlich rüberbringen. Es ist viel einfacher, als es klingt.

Ich glaube dass ich verstanden habe, dass die BGH-ler nicht die Beweiswürdigung bzw. die Feststellungen als solches hinterfragen. Wenn also z.B. in den Nummern 950 ff jeweils die Kernaussagen der Sachverständigenbeweise zusammengefasst werden, dann verstehe ich es so, dass diese nicht mehr angezweifelt werden. Das heißt als BGH-ler fange ich jetzt nicht mehr an in den schriftlichen Ausarbeitungen der Gutachten zu blättern, Gerichtsprotokolle auf die genauen Aussagen hin zu prüfen etc.

Ergo: Das wäre für mich BGHler also gesetzt, ein "könnte man auch anders sehen" oder "fehlerhaftes Gutachten" scheidet aus, richtig ?

Aber:
Wenn ich also bei den Nummern 950ff durchwegs einschränkende, vage Formulierungen von der Richterin selbst so formuliert lese (die ich ja nicht mehr "als solche" anzweifle), die sich aber überwiegend NICHT eindeutig festlegen, also ständig lese: "könnte" "möglich", "nicht plausibel", "unwahrscheinlich", "sei denkbar" usw.... und dann aber bei Nr. 1051 als abschließende Beweiswürdigung lese "Ein Unfallgeschehen konnte zweifelsfrei ausgeschlossen werden", dann würde ich als Alltagslogiker sagen:
Logikfehler. Ich kann nicht alle Aussagen mit mal mehr mal weniger "Restzweifel" dann zusammenfassen mit der Feststellung "zweifelsfrei".
Meine Sachverständigen lassen sich alle ein Hintertürchen offen, das ich aber jetzt nicht mehr sehen mag ?
Wäre nicht vielmehr die abshließende Bewertung "Ein Unfallgeschehen ist sehr unwahrscheinlich" , die logische Konsequenz ?
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Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

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Kalle hat geschrieben: Dienstag, 25. Februar 2025, 16:43:01 … dass die BGH-ler nicht die Beweiswürdigung bzw. die Feststellungen als solches hinterfragen. …
Zu unterscheiden sind die Feststellungen zum Sachverhalt einerseits und die Beweiswürdigung andererseits. Anhand eines stark überzeichneten Beispiels will ich es noch einmal verdeutlichen.


Beispiel: Verkehrsunfall mit Fahrerflucht in der Dämmerung.

Beweiserhebung (in der Tatsacheninstanz): Als einziger will ein Zeuge am Steuer des flüchtigen Fahrzeugs im Vorbeihuschen den Seppi erkannt haben. Das Fahrzeug nahm der Zeuge als dunkelgrünen SUV wahr. Weitere Zeugen berichten widersprüchlich. Einer sagt, das Fahrzeug sei ein dunkelroter Kleinwagen gewesen, der nächste meint, einen schwarzen Mittelklassewagen erkannt zu haben. Auf Seppi zugelassen ist ein dunkelblaues Cabrio. Seppi bestreitet die Tat. An dem Cabrio ist ein Unfallschaden nicht erkennbar. Soweit die Feststellungen zum Sachverhalt in der Tatsacheninstanz. Diese Feststellungen sind mit der Revision nicht angreifbar.

Nun folgt die Beweiswürdigung in der Tatsacheninstanz. Das Gericht gelangt zu der Überzeugung, Seppi sei der Unfallfahrer gewesen und verurteilt ihn, weil Zeugen in der Aufregung immer alles durcheinanderbringen – außer bekannte Gesichter. Diese Überzeugung muss das Gericht schlüssig und nachvollziehbar darlegen.

Ob dies der Fall ist, ist einer Überprüfung in der Revisionsinstanz zugänglich: Dass Zeugen immer alles durcheinanderbringen, vorbeihuschende Gesichter aber stets tadellos erinnern, ist eine willkürliche Unterstellung ohne sachliche Grundlage. Nicht aufgeklärt wurde, wie die genauen Lichtverhältnisse waren, ob am Unfallort Lacksplitter gefunden wurden, ob Seppi ein Alibi hat, welchen Standort zur Unfallzeit Seppis Fahrzeug- und Handydaten preisgeben und wo, wann und durch wen Seppi den Unfallschaden hätte heimlich reparieren lassen können.

Der konkret festgestellte Sachverhalt (also die Zeugenaussagen, quasi die „Messungen“) ist mit der Revision nicht angreifbar, sehr wohl aber das, was das Gericht daraus gemacht hat. In diesem Beispiel ist die Aufklärung des Sachverhalts löchrig wie ein Schweizer Käse und die Beweiswürdigung geprägt von willkürlichen bzw. unlogischen Annahmen. Das Revisionsgericht wird das Urteil aufheben und an die Tatsacheninstanz zurückverweisen zur weiteren Sachaufklärung und Entscheidung.

(Hätte das Gericht zunächst den Sachverhalt anständig aufgeklärt und sodann in seiner Beweiswürdigung fehlerfrei und schlüssig argumentiert, hätte sein Urteil Bestand.)


Zurück zum Fall Hanna.
Kalle hat geschrieben: Dienstag, 25. Februar 2025, 16:43:01 … Wenn also z.B. in den Nummern 950 ff [Beweiserhebung] jeweils die Kernaussagen der Sachverständigenbeweise zusammengefasst werden, dann verstehe ich es so, dass diese nicht mehr angezweifelt werden. …
Sofern diese nicht in sich widersprüchlich, unlogisch oder lückenhaft sind oder gegen einen anerkannten Erfahrungssatz verstoßen: ja. (Gleich unten mehr dazu.)

Kalle hat geschrieben: Dienstag, 25. Februar 2025, 16:43:01 … Das heißt als BGH-ler fange ich jetzt nicht mehr an in den schriftlichen Ausarbeitungen der Gutachten zu blättern, Gerichtsprotokolle auf die genauen Aussagen hin zu prüfen etc. …
Nicht unbedingt. Beispiel: Pegelstand Bärbach. In der Sitzung soll Malcherek laut Presse „50 bis 70 cm“ genannt haben. Im Urteil wird durchweg von 1,40 m gesprochen. Aufschluss könnte das schriftliche Gutachten oder (eher weniger) das dürftige Sitzungsprotokoll bieten.

Hinzunehmen sind beispielsweise die rechtsmedizinischen Feststellungen (quasi „Messungen“) zum Alkoholspiegel, zum Mageninhalt, zur Urin-Glukose, zur Körpertemperatur, zu den Verletzungen usw. – nicht aber die daraus gezogenen Schlussfolgerungen. Widersprüche, Logikfehler oder Lücken können mit der Revision gerügt werden.

Kalle hat geschrieben: Dienstag, 25. Februar 2025, 16:43:01 … Aber: Wenn ich … bei den Nummern 950ff [Beweiserhebung] durchwegs einschränkende, vage Formulierungen … lese: "könnte" "möglich", "nicht plausibel", "unwahrscheinlich", "sei denkbar" usw.... und dann aber bei Nr. 1051 [Beweiswürdigung] als abschließende Beweiswürdigung lese "Ein Unfallgeschehen konnte zweifelsfrei ausgeschlossen werden", dann würde ich als Alltagslogiker sagen: Logikfehler. …
Auf den ersten Blick: ja.

Aber das Gericht hätte in seiner (sogenannt freien) Beweiswürdigung sehr wohl zu der Überzeugung gelangt sein können, dass ein Unfallgeschehen „zweifelsfrei“ auszuschließen sei. Diese Überzeugung allerdings hätte das Gericht in seinem Urteil lückenlos, widerspruchsfrei, schlüssig und nachvollziehbar darlegen müssen. Und hieran fehlt es.

Kalle hat geschrieben: Dienstag, 25. Februar 2025, 16:43:01 … Wäre nicht vielmehr die abs[c]hließende Bewertung "Ein Unfallgeschehen ist sehr unwahrscheinlich" , die logische Konsequenz ?
Richtig. Dann aber wäre die Kammer argumentativ vom Regen in die Traufe gekommen. ;-)
Haropa
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Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von Haropa »

Hi zusammen, jetzt auch mal wieder was von mir, wird aber lang..

Weil ich die Unfalltheorie auch nie wirklich ausgeschlossen hab, find ichs auch interessant, über die Punkte nachzudenken, die gegen die Unfalltheorie sprechen könnten.
Für mich ergeben sich aus den ganzen „Hard Facts“ aus dem Urteil folgende 2 Szenarios, wie ein Unfall abgelaufen sein könnte und was dagegen sprechen könnte:

THEORIE 1. H war schwindelig/schlecht wegen 2,06 Promille (um 2:27:09 keine Auffälligkeiten, kein Schwanken, H geht zielstrebig alleine los und biegt um 2:28 in die K.Str. ab)
- es ist ca. 2:30-2:32 Uhr, H ist am Brückerl, um sich evtl. am Geländer festzuhalten
- Anruf Notfallkontakt: H wählt den Notruf um 2:32:09, weil es ihr so schlecht geht, der aus technischen Gründen aber nicht durchgeht (2x drücken auf „Notruf“, dann 1x auf „Home)
- H wählt den Notruf nicht nochmal. Möglich:
1. H rutscht aus, fällt mit Handy ins Wasser,
2. H ist das Handy aus der Hand gerutscht & hat dann selbst das Gleichgewicht verloren. -> H schreit
- Handy Temperaturabfall & GPS-Ungenauigkeit ab 2:32:47-2:33:35
- H versucht sich ans Ufer zu retten, kriegt aber sehr schnell einen Kälteschock (Wasser 8,5-9,8grad) bzw. einen rapiden Abfall des Blutdrucks & der Herzleistung und schluckt deshalb fast kein Wasser (Mageninhalt von nur 110ml) und hatte durch die schnelle Bewusstlosigkeit keine Gelegenheit, sich an irgendwas festzuhalten (keine Spuren Handinnenflächen)

THEORIE 2. H musste pinkeln
- es ist ca. 2:30-2:32 Uhr, H ist am Brückerl, um zu pinkeln, hält sich evtl. am Geländer fest
- ((H wählt den Notruf um 2:32:09 aus Versehen, deshalb auch kein erneuter Notruf.))
- H rutscht aus, fällt ins Wasser -> H schreit
- Handy Temperaturabfall & GPS-Ungenauigkeit ab 2:32:47-2:33:35
- H versucht sich ans Ufer zu retten, merkt es klappt nicht, evtl. zu schwach und/oder Strömung zu stark (keine Spuren Handinnenflächen)
- Holt das nasse Handy raus und versucht mit nassen Fingern auf nassem Display ihre Eltern zu erreichen. (2x drücken auf „Notruf“, dann 1x auf „Home)
- Kriegt dann aber einen Kälteschock (deshalb kein erneuter Notruf) bzw. einen rapiden Abfall des Blutdrucks & der Herzleistung und schluckt deshalb fast kein Wasser (Mageninhalt von nur 110ml)

Bei beiden Theorien:
- Hose und Ärmel bleiben nacheinander an Ästen im Wasser hängen. Hose auf links gedreht: H „schwimmt“ mit Kopf nach vorne, Ast oder 2 Äste links und rechts greifen defekte Hose im Bund und die Strömung zieht den Körper so stark mit, dass die Hose auf links gedreht ausgezogen wird. Die Hose hatte einen Schlag, war nur am Oberschenkel bis zu den Knien eng. Besonders am Kniebereich könnte die Hose schwer über die Schuhe (gr. 41) gehen. Durch die Strömung und das Material (Kunstleder) aber evtl. plausibel. Aber keine Beschädigung der Hose durch Äste erkennbar.
- Ein anderer kräftiger Ast greift in H‘s rechten Ärmel und verfängt sich, H wird dadurch gedreht und schwimmt schräg oder mit den Füßen Vorwärts. Rechter Ärmel wird normal ausgezogen durch die Strömung, Ast hängt immer noch im rechten Ärmel, H dreht sich wieder mit Kopf Richtung Strömung (hat ja nur noch die halbe Jacke an) und hängt nur noch am linken Ärmel. Ärmel dreht sich durch Strömung + H‘s Körpergewicht auf links und wird so ausgezogen. Eigentlich plausibel. Dann wäre die Jacke aber vermutlich am Ast gefunden worden und nicht im Wasser oder? Wenn sogar H‘s Körpergewicht es nicht geschafft hat die Jacke loszureißen. Jacke/Ärmel war nicht beschädigt.
- Hydromechaniker sagte, dass es keine kräftige Ufervegetation gab, die den Körper hätte festhalten bzw. entkleiden können, nur ein „einzelner junger Baum“
- Netz-Top, Tanga, Bustier und BH saßen alle an der richtigen Stelle
- Falls H es nicht geschafft hat, komplett symmetrisch zu fallen, ohne Aufschürfungen o.ä., um sich aus dem Stand heraus die sehr stabilen Schulterdächer zu brechen, müssen eine oder beide Akromionfrakturen im Wasser entstanden sein. Diese Frakturen sind extrem selten. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, sich innerhalb kürzester Zeit 2x diese Dächer zu brechen? Wahrscheinlicher ist, dass es gleichzeitig passiert ist, auch laut Gutachten. Ein Baumstamm, der vom Himmel gefallen ist, während H mit Kopf nach unten im Wasser „schwomm“? Ein Aufprall mit einem breiten harten Gegenstand im Wasser? Es muss jedenfalls von hinten oben (bei einer stehenden Person) gekommen sein, ohne Aufschürfungen.
- Auf die 5 Rissquetschwunden geh ich jetzt nicht nochmal im Detail ein, evtl. Im Wasser entstanden, auch wenn laut Gutachten sehr unwahrscheinlich. Laut Urteil sogar 7 Wunden am Kopf im 90 grad Winkel, ohne Aufschürfungen, 5 davon mit weitgehend gleicher Größe und Gestalt.
- Ring und Gürtel (Kunstledergürtel der Jacke) wurden im Bach Höhe Kampenwandparkplatz gefunden -> müsste H direkt nach dem Sturz oder währenddessen verloren haben. Ring ok, aber Gürtel? Bzw. beides?
- Ein erhöhter Glukose-Wert könnte gegen beide Theorien sprechen, weil der Stress zwar heftig, aber nur sehr kurz war? Aber keine Ahnung..

Ich bin immer noch der Meinung, dass die „Beweislage“ für eine Verurteilung von ST auf keinen Fall ausreicht, aber frage mich auch immer mehr, wie so eine Unfalltheorie möglich wäre. Besonders in der Gesamtschau wie das Gericht es so schön gesagt hat. Die Kombination von allem find ich schwierig unter einen Hut zu bringen und schon verrückt.

Was sagt ihr dazu? Oder habt ihr andere Theorien, die zusammen mit den im Urteil genannten Fakten Sinn ergeben (Mageninhalt, Notfallkontakt, Verletzungen ohne Aufschürfungen, Kleidung etc.)?

((Quelle ist das Urteil)), wer eine bestimmte Quelle will gerne nachfragen. :))
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Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von Catch22 »

@Haropa
Schön, dass Du wieder da bist!

Haropa hat geschrieben: Dienstag, 25. Februar 2025, 20:50:20 … habt ihr andere Theorien, die zusammen mit den im Urteil genannten Fakten Sinn ergeben (Mageninhalt, Notfallkontakt, Verletzungen ohne Aufschürfungen, Kleidung etc.)? …
Siehe beispielsweise hier:

viewtopic.php?p=288165#p288165 (@Gast: Unfalltheorie)

ergänzend:
viewtopic.php?p=287190#p287190 (@Catch22: Hose, Schultern)
viewtopic.php?p=288194#p288194 (@Fränkin: Blutdruck)
viewtopic.php?p=287068#p287068 (@Catch22: Schultern, Schürfungen, Resturin)
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Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von Fränkin »

gastxyz..me hat geschrieben: Montag, 24. Februar 2025, 00:52:54 @fränkin
.. wie erklärst du dir diesen hohen urin-glukose-wert ?
Dazu gehe ich nochmal zurück zu einem Post von Catch22:
Catch22 hat geschrieben: Sonntag, 23. Februar 2025, 14:14:08 Als kleiner Vorgeschmack ein Auszug daraus zu acetylierter Glukose im Urin als agonaler Effekt:
"[1105] Der hohe Glucosewert (acetylierte Glukose) im Urin der verstorbenen Hanna W., der von der Sachverständigen … festgestellt wurde (Ziff. D. II. 18.3.2.), weist auf das Vorliegen einer Hyperglykämie („Überzucker“) zum Zeitpunkt des Ablebens hin, da Glukose erst bei Überschreiten der sog. „Nierenschwelle“ in relevanter Konzentration im Urin nachzuweisen ist. Dies kann – so … – als agonaler Effekt interpretiert werden, bedingt durch einen Adrenalin-Ausstoß, etwa verursacht durch Stress bzw. Angst."
Und genau da liegt der Hase im Pfeffer!

Es handelt sich eben nicht um "normale" sondern um acetylierte Glukose. Das hatte ich eingangs wohl überlesen. Sorry.

Acetylierte Glucose oder auch N-Acetylglucosamin ist Bestandteil der Zellwände von Bakterien.
Bakterien in der Blase deuten auf eine bakterielle Infektion der Blase oder eventuell auch in den Nieren hin und keineswegs auf eine Erhöhung der Blutglukose aufgrund einer Adrenalinausschüttung. Damit ist die Schlussfolgerung des Gerichts komplett falsch.
Die Blutglukose ist nämlich nicht acetyliert.
Damit weist acetylierte Glukose definitiv nicht auf eine Hyperglykämie hin, sondern wohl eher auf das Vorhandensein von Bakterien in der Blase. Und weil man mit einer Blasenentzündung auch häufig pinkeln muss, könnte das auch relativ einfach die geringe Restharnmenge erklären.

Zum Nachlesen auf die Schnelle:
N-Acetylglucosamin bei DocCheck
N-Acetylglucosamin bei Wikipedia
Zum Vertiefen (sehr detailliert)
Gast086TVI15

Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von Gast086TVI15 »

Catch22 hat geschrieben: Sonntag, 23. Februar 2025, 20:14:53Der Zweifelssatz „in dubio pro reo“ steht in der Tatsacheninstanz (also beim LG) am Ende der Beweiswürdigung (also nach der Beweisaufnahme), wenn bei der richterlichen Überzeugungsbildung sogenannte vernünftige Zweifel an der Schuld des Angeklagten bleiben.
Für mich ist jedoch diese Herangehensweise ein schwerer methodischer Fehler. Möglicherweise wird er sich nicht so häufig auswirken, weil meist die Beweismittel klar in eine Richtung gehen. Wenn man diese aber sehr unterschiedlich interpretieren kann, dann wird dieser methodische Fehler wirksam. Das führt dazu, dass der Angeklagte dann seine Unschuld beweisen können muss.


Die Folge dieses aus meiner Sicht methodischen Fehlers kann man im Fall Genditzki deutlich erkennen. Da gab es DNA-Spuren, die in Wirklichkeit sehr deutlich auf eine Nutzung der Wanne durch Frau Kortüm hinwiesen. Das Gericht hatte jedoch diese Beweismittel erst zum Schluss „bewertet“, als es schon quasi zur Überzeugung gekommen war.

In Wirklichkeit geht es doch bei solchen Verfahren doch „nur“ um Wahrscheinlichkeiten und eigentlich müsste man jede These mit den vorhandenen Beweismitteln untersuchen. Das erfolgt jedoch nicht, dass Gericht sucht sich nur diese heraus, die seien Ansicht stützt, die wesentlichen werden dann erst nach der „Überzeugung“ berücksichtigt und bewirken dann in der Regel keine Zweifel.

Sauber ist es eben, wenn man sämtliche Beweismittel bei jeder Bewertung einer These nutzt, die diese Stützen oder widersprechen kann. Erst dann kann man sich ein Bild machen. Im Fall des Hausmeisters ging es um die Frage des Einweichens von verschmutzter Wäsche. Die These des Gerichts hätte die DNA-Spuren ebenfalls einfließen müssen und es hätte unter deren Berücksichtigung in Wirklichkeit kaum das Einweichen in der Badewanne verneinen dürfen. Durch das objektiv willkürliche Herausnehmen dieser DNA-Spur ist dann - so wie wir heute wissen – höchstwahrscheinlich zu einer Fehleinschätzung gekommen.

Durch diesen systematischen Fehler ist es daher überhaupt nicht verwunderlich, dass in der Begründung des Freispruchs zu einem diametralen Ergebnis bzgl. dieses Einweichens gekommen war. Ohne diesen methodischen Fehler hätte man G möglicherweise 14 Jahre Haft erspart, denn dann wäre wahrscheinlich der Stunt-Versuch zum Tragen gekommen.


Diese Methodik verleitet Richter zu willkürlichen Urteilen.

Auch im vorliegenden Fall wird dieser methodische Fehler mehrfach sichtbar. Nur als Beispiel, so geht das Gericht davon aus, dass der Jogger zum vermeintlichen Tatort abgebogen sei, ohne dass es dazu irgendein Beweismittel gibt. Zeugen haben ihn nur auf dem Nachhausweg gesehen.

Hier hätte man – ohne diesen methodischen Fehler - erst eine saubere Abwägung durchführen müssen und das CoC-Spiel direkt mitberücksichtigen müssen. Man hätte sich dann viel mehr Gedanken müssen, warum der Jogger ausgerechnet an diesem einzigen Ort das Opfer abgefangen haben soll, wo es nicht einsehbar gewesen sein soll. Denn ob es überhaupt dort erfolgte, steht in den Sternen, falls es doch kein Unfall war. Denn dann hätten Jogger und das Opfer wirklich zufällig sich treffen müssen. Hier kommen grundsätzlich auch andere Täter in Frage (z.B. aus der direkten Umgebung) und derjenige könnte sich dort durchaus schon länger auf der Lauer gelegen haben, das wäre dann deutlich wahrscheinlicher. In Kombination mit dem CoC-Spiel wird ein anderer Täter dann noch wahrscheinlicher, so reichte „möglich“ einfach aus. Zwar bedeutet das nicht, dass der Jogger automatisch aus dem Schneider gewesen wäre, gäbe es andere starke Indizien, dann kann diese geringe Wahrscheinlichkeit wieder aufgehoben werden, aber die gibt es in Wirklichkeit in dem Fall nicht. Würde man dann auch die anderen Beweismittel mit weniger Vorurteilen betrachten, dann hätte man ohne diesen methodischen Fehler wahrscheinlich den Jogger freisprechen müssen.


Wie gesagt, durch diesen methodischen Fehler liegt es im Belieben des Gerichts Beweismittel nicht dann, wo es in Wirklichkeit notwendig ist zu berücksichtigen, sondern erst am Ende, wo es dann letztlich nur dann noch das Urteil umdrehen kann, wenn damit die Unschuld fast schon bewiesen wird. Das hat dann in der Realität jedoch nichts mehr mit dem Zweifelsgrundsatz zu tun, wie gesagt, der objektiven Willkür wird damit eher Vorschub geleistet.


Oder erfolgte hier beide Gerichte in Wirklichkeit eine fehlerhafte Rechtsanwendung, dass man in Wirklichkeit die Ansprüche der erst später bewerteten Indizien niemals so hochschrauben darf, wie hier erfolgt, damit der Angeklagte überhaupt eine Chance zu bekommt, dass das Gericht Zweifel sieht?
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Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

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@Gast086TVI15

Deine Kritik an der Methodik im Strafprozess ist nachvollziehbar und aus Sicht des Bürgers (oder eines Naturwissenschaftlers) auch verständlich. Jedoch wirft diese Herangehensweise neue Probleme auf, denen die Rechtswissenschaft mit ihrer eigenen Methodik begegnet.

Nur in den seltensten Fällen gibt es einen unmittelbaren Tatbeweis (z. B. ein Video der Tat). Herangezogen werden dann Indizien, also Beweisanzeichen, die (indirekt) auf die Begehung der Tat hinweisen. Dazu zählen etwa DNA, Fingerabdrücke, Blut-, Faser- und andere Spuren eines Täters bzw. einer Tat.

Freilich könnte man nun jedes einzelne Indiz isoliert einer „Zweifelsprobe“ unterziehen. Jede einzelne Spur könnte beispielsweise auch berechtigt in den Tatortbereich gelangt sein. Dies könnte leicht dazu führen, dass jedes Indiz „im Zweifel“ auszuschließen ist, das Gericht am Ende mit leeren Händen dasteht und ein Täter ungeschoren davonkommt.

Deshalb werden alle Indizien gesammelt und am Ende in einer Gesamtschau bewertet. Einzelheiten dazu unter Berücksichtigung der (auszugsweise zitierten) Rechtsprechung des BGH hatte ich vor längerem schon hier erläutert:

viewtopic.php?p=247054#p247054
viewtopic.php?p=247076#p247076

Des Weiteren gilt zu bedenken, dass es nicht genügt, von rein theoretisch denkbaren Möglichkeiten, die ein Angeklagter gehabt haben könnte, auf eine tatsächliche Tatbegehung durch ihn zu schließen. Ebenso helfen die schönsten Indizien wenig, wenn sich darunter kein einziges findet, das einen unmittelbaren Bezug zur Tat herstellt.

Dies und noch einiges mehr lässt sich (neben auffälligen Parallelen zum Fall Hanna!) aus dem BGH-Urteil zum Pistazieneis-Fall entnehmen. Eine Gegenüberstellung der beiden Fälle anhand des BGH-Urteils:

viewtopic.php?p=285144#p285144

Zuguterletzt sollte die Vierte Gewalt im Staate ihrer Verpflichtung gerecht werden, das Tun der Judikative gegenüber dem Souverän transparent zu machen, wenn Gerichte in dessen Namen urteilen. Auch eine Kontrollinstanz!

Auf einsamem Posten verloren schien der SZ-Gerichtsreporter Hans Holzhaider, der im Badewannen-Fall die Zweifel an der Schuld des Hausmeisters von Anfang an hochhielt. Im Fall Hanna überboten sich drittklassige Hetzmedien darin, den Pöbel tendenziös anzufeuern und eine ehrbare Verteidigerin als „Gefahr für den Rechtsstaat“ zu verunglimpfen. Rechtlich ahnungslose Giftspritzen der schreibenden Zunft in Gerichtssäle zu entsenden, ist verantwortungslos, ebenso irreführende und einseitige Informationen eines Nebenklagevertreters kritiklos ins Blatt zu klatschen.

Zurück zur Methodik:

Gast086TVI15 hat geschrieben: Mittwoch, 26. Februar 2025, 20:37:25 … so geht das Gericht davon aus, dass der Jogger zum vermeintlichen Tatort abgebogen sei, ohne dass es dazu irgendein Beweismittel gibt. Zeugen haben ihn nur auf dem Nachhaus[e]weg gesehen. …
Richtig, es existiert keinerlei Beweis dafür. Es besteht nur die rein theoretische Möglichkeit dazu. Und das allein reicht eben nicht.

Gast086TVI15 hat geschrieben: Mittwoch, 26. Februar 2025, 20:37:25 … Hier hätte man … das CoC-Spiel direkt mitberücksichtigen müssen. Man hätte sich dann viel mehr Gedanken [machen] müssen, warum der Jogger ausgerechnet an diesem einzigen Ort das Opfer abgefangen haben soll, wo es nicht einsehbar gewesen sein soll. …
Auch das ist richtig. Stichwort: Gesamtschau aller Indizien.

Gast086TVI15 hat geschrieben: Mittwoch, 26. Februar 2025, 20:37:25 … durch diesen methodischen Fehler liegt es im Belieben des Gerichts, Beweismittel nicht dann, wo es in Wirklichkeit notwendig ist, zu berücksichtigen, sondern erst am Ende …
Beides ist gleichermaßen wichtig: einerseits die einzelnen Beweise jeweils sauber zu erheben und andererseits am Ende eine saubere Gesamtwürdigung (wo der Zweifelsgrundsatz „in dubio pro reo“ seinen Platz findet) vorzunehmen. Besonders tragisch wird es, wenn ein Gericht an beiden Stellen versagt.

Falls es zutrifft, dass als Ursache für acetylierte Glukose im Urin auf keinen Fall eine Hyperglykämie (Überzucker im Blut) bzw. eine Adrenalinausschüttung in Frage kommen kann, sondern dafür vielmehr (wie von @Fränkin dargelegt) eine bakterielle Blasenentzündung verantwortlich gewesen sein müsste, dann wäre bereits der erhobene Sachverständigenbeweis falsch und die daraus in der Gesamtwürdigung gezogenen Schlussfolgerungen erst recht.

Es gibt in einem Mordprozess Kontrollinstanzen wie Revision und Wiederaufnahme. Und auch die Öffentlichkeit, sprich: die Presse, soll zur Kontrolle des Staates beitragen. Perfekt ist das System nicht. Am Ende steht bei Gericht immer nur ein Urteil. Dass daraus auch Gerechtigkeit resultiert, ist eine naive Illusion.

Nur ein einziges Mal begegnete ich einem Vorsitzenden Richter an einem OLG, der in einem Rechtsgespräch freimütig einen groben Denkfehler in seinem letztinstanzlichen, zivilrechtlichen Urteil einräumte. Wäre es „nur“ ein Rechenfehler gewesen, hätte das Urteil berichtigt werden können (was mein Ziel war). Bei einem Denkfehler nicht. Der schon ältere Richter war wenigstens selbstkritisch und ehrlich. Eine Rarität.

Gast086TVI15 hat geschrieben: Mittwoch, 26. Februar 2025, 20:37:25 … Diese Methodik verleitet Richter zu willkürlichen Urteilen. …
Die Aussage Verenas erwies sich als ohne Wert, der Boden für eine Verurteilung wurde immer sumpfiger. Da kam der JVA-Zeuge wie gerufen. Mit aller Gewalt musste dessen Glaubwürdigkeit für einen Schuldspruch zurechtgezimmert werden. Der Rest wurde drum herumdrapiert.

Nach meinem ganz persönlichen Eindruck springen aus dem Urteil der Belastungseifer und die Voreingenommenheit der Traunsteiner Kammer förmlich hervor. Die besondere Arbeitsweise der Pflichtverteidiger bot dem Gericht freie Bahn. Die Feuerwehr aus München (und Hamburg) wurde erst gerufen, als die Hütte schon in Vollbrand stand. Wollen wir hoffen, dass unsere rechtsstaatlichen Mittel ausreichen, um das Feuer zu löschen.
Gast0815

Re: MORDFALL HANNA W. (23 †), ASCHAU - CHIEMGAU, 2022

Ungelesener Beitrag von Gast0815 »

Catch22 hat geschrieben: Donnerstag, 27. Februar 2025, 01:45:05Deine Kritik an der Methodik im Strafprozess ist nachvollziehbar und aus Sicht des Bürgers (oder eines Naturwissenschaftlers) auch verständlich. Jedoch wirft diese Herangehensweise neue Probleme auf, denen die Rechtswissenschaft mit ihrer eigenen Methodik begegnet.

Nur in den seltensten Fällen gibt es einen unmittelbaren Tatbeweis (z. B. ein Video der Tat). Herangezogen werden dann Indizien, also Beweisanzeichen, die (indirekt) auf die Begehung der Tat hinweisen. Dazu zählen etwa DNA, Fingerabdrücke, Blut-, Faser- und andere Spuren eines Täters bzw. einer Tat.

Freilich könnte man nun jedes einzelne Indiz isoliert einer „Zweifelsprobe“ unterziehen. Jede einzelne Spur könnte beispielsweise auch berechtigt in den Tatortbereich gelangt sein. Dies könnte leicht dazu führen, dass jedes Indiz „im Zweifel“ auszuschließen ist, das Gericht am Ende mit leeren Händen dasteht und ein Täter ungeschoren davonkommt.
Ich glaube, dass Du mich nicht ganz verstanden hast. Ich gebe Dir natürlich Recht, der Zweifelsgrundsatz wird häufig nicht richtig verstanden. Man glaubt nicht selten, dass der Zweifel an einzelnen Indizien sich auch im Urteil zu Zweifeln führen müssten. Aber das ist nicht der Fall, vielmehr verstärken sich in der Regel die Indizien gegenseitig, aber meist nur dann, wenn der Richtige angeklagt wurde. Aber das Naturwissenschaftler das eben so sehen, kann ich nicht bestätigen. Denn diese Problematik ist durchaus auch in Naturwissenschaften bekannt und sie kann damit umgehen. Die Mittel stellt dafür die Mathematik bereit.

Auch die Mathematik kennt natürlich auch genau diese Problematik und hat dafür Methoden gefunden. Und auch das Recht muss sich etwas mit der Mathematik messen lassen, auch wenn die Wahrscheinlichkeiten und deren Abhängigkeiten nicht bezifferbar sind, Wäre das möglich, könnte man mittels Mathematik das Urteil fällen und man könnte feste Grenzen der Wahrscheinlichkeit festlegen, um jemanden als schuldig anzusehen. Aber leider ist es nicht so. Aber man darf trotzdem diese mathematischen Methoden auch im Recht nicht ganz aus den Augen verlieren und losgelöst davon eigenständige Methoden entwickeln. Sie müssen auch einen gewissen mathematischen Hintergrund haben.

Eine mathematische Methode, um das anschaulich darzustellen, ist der Wahrscheinlichkeitsbaum. Gerade der drückt es aus, dass es nicht auf einige wenige Indizien ankommt, sondern genaugenommen sämtliche – soweit man sie kennt.

Damit steht die „wissenschaftliche“ Herangehensweise erstmal nicht im Konflikt mit der des Rechts, dass „sämtliche“ Indizien berücksichtigt werden müssen.

Eine Methodik der mathematik, die es recht bildhaft darstellt, ist der Wahrschweinlichkeitsbaum. Dort gibt es dieses von mir kritisierte zweistufige Verfahren nicht, dass man bestimmte Indizien, die der „Überzeugung“ zuwiderlaufen im ersten Teil erst gar nicht berücksichtigt und man dann versucht im Nachhinein das nachzuholen. Natürlich gibt es auch in der Mathematik die Möglichkeit bei gewissen Voraussetzungen Vereinfachungen vorzunehmen. Aber ganz wichtig ist dabei, dass man sich diesen Voraussetzungen bewusst ist und sie auch überprüft.

Ich denke, diese „eigene Methodik der Justiz“ wird eine solche mathematischen Vereinfachung auch zu Grunde liegen, nur viele Juristen werden die Voraussetzungen, wann diese Vereinfachung erlaubt ist, ist, entweder nie mitgeteilt bekommen haben oder einfach vergessen haben.

Ich denke, der Grund dafür ist die sogenannte „Überzeugung“. Da geht man bei dieser Vereinfachung davon aus, dass wirklich dadurch schon eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit sich aus den genutzten Indizien ergibt, wo der Einfluss der weggelassenen Indizien wahrscheinlich wirklich vernachlässigbar ist.

Diese Sache hat nur einen schweren Haken, wann das Gericht „überzeugt“ ist, ist eine Entscheidung des Gerichts und ist keine objektive Größe. Bedeutet „Überzeugung“ eben diese notwendige sehr hohe Wahrscheinlichkeit, die für diese Methodik Voraussetzung wäre? Leider ist – wie der Fall G und der vorliegende zeigen – diese Überzeugung auch stark von Vorurteilen abhängig. Und genau dann werden Richter dazu verleitet starke Indizien für die Unschuld einfach aus dem ersten Schritt rauszunehmen und erst hinten zu bewerten, wo diese nur noch einzeln betrachtet werden. Und dann haben diese Indizien nur noch Chancen das Urteil umzudrehen, wenn sie fast 100%ig in die entgegengesetzte Richtung gehen, genau das hatte ja auch die Richter im vorliegenden Fall auch so begründet, ihre sogenannte „Überzeugung“ könne nur umgedreht werden, wenn das ein 100%iges Alibi gewesen wäre. Im vorliegenden Fall wurden dann noch - neben weiteren schwerwiegenden Fehlern - die WhatsApp-Nachrichten vom 17.11, die den 17.11. in Wirklichkeit erklärt hätten - ganz unter den Tisch fallen gelassen, das Gericht hat nicht mal versucht, diese im 2ten Teil – also am Ende der Beweiswürdigung - zu berücksichtigen. Ich denke nicht ohne Grund, denn es wäre dann wirklich in höchste Erklärungsnot gekommen.

Da sich diese Methodik so im Alltag durchgesetzt hat und auch die BGH-Gerichte täglich viele derartige Urteile sehen, werden sie kaum mehr die Voraussetzungen mehr prüfen, ob überhaupt die Voraussetzungen dieser Methodik überhaupt vorliegen – der übliche Schlendrian halt. Diese unzureichende Überprüfung zeigt der Fall G.

Natürlich passiert so etwas in anderen Berufen genauso, dort landet man dann aber irgendwann auf der Nase, weil dann irgendwann die Folgen solchen Schlendrians mal mehr oder weniger dramatisch zu Tage treten. Das erfolgt in der Justiz so gut wie nie, abgesehen von den wenigen Wiederaufnahmen.

Und genau dieser Methodik Fehler wird gerade wirksam, wenn es nur schwache Indizien gibt, welche für die Schuld sprechen und damit genau in den Fällen, wo das Gericht eigentlich Zweifel haben müssten, aber trotzdem zu einer Überzeugung im ersten Schritt der Beweiswürdigung gekommen waren. Dieser Methodik-Fehler bewirkt aber, dass sich – wie hier im vorliegenden Fall Gerichte dessen notwendigen Zweifel sich nicht bewusst werden. Hier kommt natürlich die Befangenheit hinzu, aber das läuft auf das gleiche hinaus, ist gibt dadurch auch keine Chance, dass sich Gerichte ihrer Befangenheit bewusst werden. Rein formell dann dieses Urteil auch richtig und die Revision wird dann häufig – wie im Fall G – einfach abgewiesen, erschreckend.

Wie gesagt, der Fall G zeigt deutlich, wie dieser Fehler sich ausgewirkt hat. Aber ich denke, es ist aussichtslos, die Justiz wird den Fall schon längst ad acta gelegt haben und nicht wirklich eine Ursachenforschung betrieben haben. Sie wird sich einfach hinter den neuen Methoden versteckt haben, dabei ignoriert sie, dass in Wirklichkeit damals es den Stuntversuch gab und es auch bzgl. der Gutachten die Sache gar nicht so eindeutig war.

Natürlich wird es auch beim vorliegenden Fall deutlich. Ohne diesen methodischen Fehler, hätte das Gericht vielleicht doch noch erkannt, dass es zu wenig offen für eine andere Sichtweise war bzw. möglicherweise wäre die Herangehensweisen eine ganz andere. Man hätte sich wahrscheinlich von vornherein die entlastenden Indizien viel genauer angeschaut.
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