…
9 Uhr: Vor Ort am Landgericht … stehen zahlreiche Menschen an, die die Plädoyers verfolgen möchten. Auch zahlreiche Medienvertreter sind … gekommen … Schon um acht Uhr ist die Schlange vor dem Gericht lang.
9.30 Uhr: Hannas Eltern sind ebenfalls, … im Gerichtssaal. Nur an wenigen Tagen nahmen sie nicht teil. … Die beiden halten sich oft an den Händen. Es ist offensichtlich, wie schmerzhaft der Prozess für sie ist. … „Sie fehlt uns jeden Tag“, hatte Hannas Mutter im Oktober ausgesagt. Man sieht es ihr an.
9.34 Uhr: Sebastian T. kommt auch heute wieder im Rollstuhl … Er hat sich laut Verteidigung in der JVA verletzt, ist dort über eine Kiste gefallen. Viele Prozessbeobachter fragen sich, ob das auch tatsächlich der Fall gewesen ist – schließlich gelten – mutmaßliche – Sexualstraftäter im Gefängnis als eine Gruppe, die von Gewalt bedroht ist. T. kann zwar selbständig gehen, das scheint aber infolge von Verletzung und Fußfesseln etwas [schwer] zu fallen. …
Amok-Warnung …: Niemand verlässt den Saal
9.35 Uhr: Amok-Warnung am Landgericht Traunstein! [Die] Vorsitzende … Aßbichler weist darauf hin, dass es eine Amok-Drohung gab. … [Deshalb] sei so viel Polizei vor Ort. „Wir haben alles im Griff!“ Wer lieber gehen möchte, könne dies tun.
[Vortrag des Staatsanwalts]
9.40 Uhr: Staatsanwalt … Fiedler beginnt mit seinem Plädoyer. „Jeder Stein wurde umgedreht“, sagt Fiedler hinsichtlich der Ermittlungen. Trotz der Amok-Warnung verlässt niemand den Saal. Die Vorhänge werden zugezogen. Fiedler spricht davon, dass ein Unfallgeschehen zweifellos ausgeschlossen werden könne.
9.44 Uhr: Wie Hannas letzte Nacht aussah, ist nun Thema von Fiedlers Plädoyer. Um 2.31 ist der letzte Geodatensatz von Hannas Handy vorhanden. 28 Sekunden nach diesem konkreten Geodatensatz … hatte Hanna versucht, bei ihren Eltern anzurufen. Um 2.33.35 [Uhr], also eine Minute und 26 Sekunden später, werden die Geodaten ungenau. Um 2.32 [Uhr] kommt es zu einem Temperaturabfall auf Hannas Handy. Um 14.26 Uhr findet ein Spaziergänger die Leiche in der Prien … Um 22.08 Uhr erfolgt die erste polizeiliche Abfrage der Hanna Wörndl, so Fiedler weiter.
9.47 Uhr: „Warum scheidet ein Unfall zweifelsfrei aus?“, fragt Fiedler. Fiedler beruft sich auf die Rechtsmedizinerin, fünf Riss-Quetsch-Wunden an Hannas Kopf. Möglicherweise durch einen Stein. Eine massive Einblutung an Hannas Rücken, zu … [der] die Rechtsmedizinerin gesagt hatte: „So etwas habe ich noch nie gesehen“.
9.47 Uhr: Für Hannas Mutter ist der Inhalt des Plädoyers sehr schwierig, sie zittert. Ihr Mann und sie halten sich an den Händen. Der Sachverständige, der von der Verteidigung benannt wurde, machte eine Aussage, so dass die Verletzungen nicht durch das Treiben in der Prien verursacht werden konnten, sagt Fiedler.
9.51 Uhr: Sebastian T. sitzt auf der Anklagebank und hört ruhig zu. Noch hat FIedler nichts zu dem Angeklagten gesagt. „Der Täter fixierte Hanna W. durch massive Krafteinwirkung“, so Fiedler. Er habe sie massiv gegen den Kopf geschlagen, ihr die Hose und die Jacke ausgezogen. Denn noch ist völlig rätselhaft, warum Hanna ihre Schuhe noch trug, jedoch keine Hose mehr.
9.53 Uhr: Nun kommt Fiedler zum möglichen Täter. Bei den Zeugenvernehmungen habe T. angegeben, er sei joggen gewesen – „übrigens kein Wort zu Clash of Clans“, sagt Fiedler. Das Online-Spiel soll T. gespielt haben, wurde als mögliches Alibi herangezogen im Prozess.
9.59 Uhr: Fiedler erklärt, dass die Pace, also die Laufgeschwindigkeit des Angeklagten, zu Hannas Heimweg und dem möglichen Tatort in der Nähe des Bärbachs passt. Genau zu dieser Zeit hatte auch eine Urlauberin einen Schrei gehört, den sie als „Todesschrei“ beschrieb. 680 Meter hätte der Tatverdächtige nach Hause laufen müssen und dies aus Sicht der Staatsanwaltschaft gut bewältigen können.
10.02 Uhr: Auch der Umstand, dass die Zeugin Lea R. ausgesagt hatte, dass der Angeklagte davon gesprochen hatte: „In Aschau ist eine Frau umgebracht worden. Es hat in Aschau einen Mord gegeben.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte die Rechtsmedizin aber noch nicht festgestellt, dass es sich um ein Tötungsdelikt handelte.
10.04 Uhr: Die Zeugin Verena R., Schwester von Lea, hatte ihre Aussage verweigert, nachdem sie sich nicht selbst belasten wollte. Zuvor hatte sie aber auch ausgesagt, dass T. bereits am 3. Oktober von einer getöteten Frau gesprochen hatte. Darüber habe sie auf der Fahrt am 4.10. zur Berufsschule nachdenken müssen – für Fiedler ist somit plausibel, dass die Daten stimmen und T. Täterwissen offenbart hat.
10.07 Uhr: Auch T. habe in seiner Zeugenvernehmung angegeben, dass er am 3.10. von seiner Mutter erfahren habe, dass Hanna W. tot ist – das ist eine neue Info. In den Medien wurde aber erst am 4.10. der Name des Opfers veröffentlicht, so Fiedler. Auch über die Rettungskräfte sei am Nachmittag des 3.10 keine Nachricht über ein Gewaltverbrechen verbreitet worden. Bei der Auswertung des Handys des Angeklagten fand man auch keine Verbindung oder Nachricht zu möglichen Infos über ein Gewaltverbrechen am 3.10.
10.10 Uhr: Nun geht es um die Persönlichkeit von T. Für Fiedler eindeutig: Nachdem T. in der JVA mit dem Gutachter gesprochen hatte und es um ein Mädchen ging, bei dem er nicht landen konnte, schlug er mit der Hand so in die Wand, dass er sich eine Fraktur zuzog. Ein schwieriges Sozialverhalten, „fast schon autistische Züge“, habe ein Zeuge von der Bergwacht über T. ausgesagt. „Er wurde als Einzelgänger beschrieben“, sagt Fiedler.
10.12 Uhr: Der Vater von T. sitzt im Publikum und schüttelt den Kopf. Als jemande[n], der seine Impulse nicht kontrollieren kann und ein gestörtes Sozialleben hat, beschreibt ihn Fiedler.
10.15 Uhr: 97 Prozent der Links waren rein pornografischen Inhalts – und zwar direkt in der Zeit um die Tat. Für Fiedler macht ihn das verdächtig. „Eindrucksvoll“, findet Fiedler auch den Porno, den man vor Gericht zeigte. Darin überfiel und fesselte ein Mann eine junge Frau. Am 30.9., zwei Tage vor der Tat, sei das Video von T. aufgerufen worden. „Zum Sex gezwungen“, „Vergewaltigung“ – „das sind schon sehr spezielle Begriffe“, nach denen T. im Internet gesucht habe.
10.18 Uhr: Übergriffig sei T. auch bei Verena R. geworden, habe sie am Oberschenkel berührt, obwohl es ihr nicht recht war. Und schlussendlich mit einem Messer bedroht … Fiedler spricht von einer klaren Entwicklung mit einer deutlichen Steigerung der Gewalt. „Der Angeklagte ist der passende Täter“, so Fiedler.
10.20 Uhr: Fiedler findet auch auffällig, dass T. sich bei … Familie R. regelrecht versteckt hatte. Außerdem stellt Fiedler fest, dass T. sich oft verplappert habe. Warum erzählt man seinen Freunden, dass man als Hauptverdächtiger gilt, wenn man als Zeuge vernommen wird? Denn genau das hat T. getan laut [der] Zeugenaussage von einem Freund.
10.22 Uhr: Dieser Freund musste deshalb sogar in ärztliche Behandlung, so zugesetzt hatte ihm die Angelegenheit. Selbst dieser Arzt wurde gehört, für ihn war die Belastung des jungen Mannes nachvollziehbar, argumentiert Fiedler. Auch dass T. so viel getrunken habe … nach dem 3.10., ist für Fiedler mehr als auffällig.
10.23 Uhr: Der Zeuge M. hat ausgesagt, dass T. ihm die Tat gestanden habe. Doch auch M. ist nicht ohne Grund in Haft. Aus Sicht von Fiedler ist er glaubwürdig, schließlich müsse er „Repressalien“ erwarten, wenn er einen Mithäftling belastet. Umstände habe M. nur vom Täter erfahren können, in den Medien seien solche Details noch nicht kursiert. Wobei: M. ließ sich mit seiner Aussage sehr viel Zeit. Erst kurz nach Prozessbeginn im Oktober sagte er aus, T. soll es ihm aber in der Weihnachtszeit gestanden haben.
10.27 Uhr: Fiedler bringt aber auch neue Infos: M. hat wohl auch einen Mithäftling angeschwärzt. „Eine Petze, die aber die Wahrheit sagt“, so beschreibt ihn Fiedler. Denn per DNA konnte man tatsächlich einen Drogenfund einem Mithäftling von N. zuordnen – genau das hatte M. zuvor behauptet.
10.33 Uhr: „Er packt sie von hinten am Arm, zieht ihr die Jacke aus“, so beschreibt Fiedler die Tat. „Hanna versucht noch verzweifelt, ihre Eltern anzurufen.“ Aus Wut habe er ihr das Handy aus der Hand geschlagen.
10.36 Uhr: Eine gefährliche Körperverletzung mit Mord – so plädiert Fiedler. „Das gefährliche Werkzeug – ein Stein, ein Messer oder ein sonstiger Gegenstand“, sagt Fiedler. Entscheidend auch die „lebensgefährdende Behandlung“ – die Schläge seien derartig wuchtig gewesen. Das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht liege vor, weil T. Hanna in den Bärbach geworfen habe, so Fiedler. Das sei ein Tötungsvorsatz gewesen, weil T. damit habe rechnen müssen, dass Hanna im Bach ertrinkt.
10.38 Uhr: Jugendstrafrecht oder Erwachsenenstrafrecht? … T. war zur Tatzeit 20 Jahre alt, wurde aber nur kurze Zeit später 21. Der Jugendpsychiater hatte ausgeführt, dass T. Entwicklungsdefizite habe. Fiedler greift dies auf – das heißt maximal 15 Jahre Haft, sollte das Gericht das auch so sehen. Was T. aber dennoch droht, ist eine mögliche Sicherungsverwahrung – in diesem Fall wäre er für immer in Haft.
10.40 Uhr: Die besondere Schuld sieht Fiedler jedoch nicht: Zwar sei der Angriff für die Familie „unfassbar“ gewesen, aber T. habe sich bisher nichts zu Schulde[n] kommen lassen. 9 Jahre und sechs Monate fordert Fiedler abschließend. Hannas Mutter ist offenbar fix und fertig.
10.42 Uhr: Wie die AZ aus Polizeiquellen erfahren hat, soll es sich bei der Amokdrohung eher um einen „Verrückten“ … [handeln]. Es habe zu keinem Zeitpunkt Gefahr bestanden, zumal die Drohung schon vor längerer Zeit gewesen sei.
[Vortrag der Nebenklage]
10.46 Uhr: „Warum?“ Nun spricht Walter Holderle, der Hannas Eltern vertritt. In diesem Prozess ging es lange um den Täter. Und wie so oft: Das Opfer tritt völlig in den Hintergrund. Das ändert sich gerade. Die Perspektive von Hannas Eltern ist nun Thema.
10.48 Uhr: „Wenn die Eltern davon ausgehen, dass der Angeklagte sagt: Ich hab' damit nichts zu tun. Dann stellen sich für die Eltern weitere Fragen“, sagt Holderle. In zwei Vernehmungen habe T. unterschiedliche Angaben zur Laufstrecke gemacht. „Warum?“, fragt Holderle. Wieso läuft man mitten in der Nacht? Wieso nimmt er seine Laufuhr und sein Handy nicht mit? Davor habe es immer Aufzeichnungen gegeben.
10.50 Uhr: T. habe einen Bekannten treffen wollen – warum ohne Handy? Der Bekannte habe außerdem ausgesagt, dass er monatelang keinen Kontakt zum Angeklagten gehabt habe, sagt Holderle. Es ist mucksmäuschenstill im Gericht.
10.52 Uhr: Zu den Sexvideos und Suchbegriffen sagt Holderle: „Warum schaut man sich sowas an?“ Holderle spricht aus der Perspektive der Eltern: Wo ist das Messer, das der Angeklagte wohl immer bei sich trug? Jenes Messer, das… er seiner Freundin R. an den Hals gehalten haben soll. „Durchaus ein Stratege“ sei der Angeklagte. Das will die Mutter von T. nicht hören, ist empört. Einen Plan vermutet Holderle – denn das Messer ist bislang nicht gefunden worden.
10.54 Uhr: Was noch gegen T. spricht: Ein Autounfall und die Krankmeldung von T. ab 4.10., obwohl er am Abend davor Tischtennis spielen konnte und am 3.10.in den frühen Morgenstunden Joggen war. Hinzu kommen für Holderle die Wunden, die T. an den Armen hatte. „Woher kommt die Verhaltensänderung ab 3.10.?“, sagt Holderle. Der Angeklagte schüttelt den Kopf, zieht eine Grimasse. Es ist nahezu das erste Mal, dass T. sich überhaupt regt, irgendeine Reaktion zeigt. T. sieht Holderle an, sein Gesichtsausdruck ist unwirsch.
10.56 Uhr: „Jetzt könnte ich dasselbe mit dir machen“ – das hatte der Arzt gesagt, der den Freund von T. behandelt hat, berichtet Holderle. Als absolut glaubwürdig habe der Arzt den jungen Mann empfunden. Dass ein junges Mädchen, das T. mal besucht hatte, ihn gar nicht mehr anschauen kann, mache ihn ebenfalls verdächtig. T. schüttelt empört den Kopf. Bei seiner Verhaftung hatte T. hingegen, für viele irritierend, keine Regung gezeigt.
10.58 Uhr: „Warum spricht er nicht?“, würden sich Hannas Eltern fragen. Und: Warum sprechen auch die Eltern von T. nicht, um die Sache aufzuklären. T. darf schweigen – viele Strafverteidiger hätten T. vermutlich auch zu dieser Strategie geraten. Dennoch ist dies für viele Prozessbeobachter schwierig zu verstehen.
11 Uhr: Für Holderle ist der Mithäftling, dem T. die Tat gestanden haben soll, glaubhaft. „Dann müssen wir sehen, dass sich der Zeuge M. noch sehr genau erinnern konnte, wann das Gespräch stattgefunden hat.“ Diese Detailtreue sei ein Indiz, dass es dieses Gespräch gegeben habe.
11.02 Uhr: „Warum sollte M. die Unwahrheit sagen?“, fragt Holderle. Tatsächlich entscheidet dieselbe Richterin auch über seinen Fall. Holderle betont aber, dass kein Deal geschlossen wurde. Zumal jeder, der im Gefängnis [einen] Mitgefangenen belaste, dort „kein schönes Leben“ habe.
11.07 Uhr: Ein weiterer Mithäftling hatte ausgesagt, dass man „im Leben auch etwas verdrängen“ müsse, so Holderle. Ebenso hatte T. ihm anvertraut, dass er auf Gewaltvideos stehe. Ein anderer Häftling hatte zudem ausgesagt, T. hätte gesagt, „er kann sich nicht daran erinnern, dass er es gemacht hat“.
11.09 Uhr: Zur Unfallthese sagt Holderle, dass alle das Video gesehen hätten, als Hanna ihre Jacke geholt habe. Dabei sei ihr die Garderobenmarke heruntergefallen, sie hob sie auf – ohne hinzufallen. Die Körperbeherrschung sei nicht eingeschränkt gewesen, sagt Holderle. Auch dass Hanna hätte urinieren müssen, glaubt Holderle nicht. Möglichkeiten hätte es im Eiskeller gegeben, zudem sei der Heimweg kurz gewesen. Und selbst wenn: „Dann mache ich das nicht direkt neben einer Straße.“
11.11 Uhr: Holderle: „Wir müssen feststellen, dass die Frage der Eltern von Hanna, warum ihre Tochter gestorben ist, in diesem Verfahren bedauerlicherweise unbeantwortet bleibt. Wer: ganz klar mit ja. Hanna wurde umgebracht ‚ganz genau so’ wie Fiedler beschrieben hatte.“ Holderle bedankt sich im Namen von Hannas Eltern für Fiedlers „brillantes“ Plädoyer.
11.12 Uhr: Holderle dankt auch der „Soko Club und insbesondere Herrn Butz“. Butz sitzt im Gericht, nimmt das Lob regungslos auf. Ganz explizit möchten Hannas Eltern auch eine Polizistin loben. Jene Polizistin, die die Verteidigung attackiert hatte. Denn diese war auch im Fall Genditzki tätig. Jenem Mann, der als vermeintlicher Badewannenmörder 13 Jahre unschuldig in Haft gesessen war.
11.14 Uhr: Wie Fiedler beruft sich Holderle auf den Sachverständigen, der ausgesagt hatte, dass das Wasser Hanna die Hose nicht [hätte] herunterziehen … können. Unplausibel für Holderle auch: In Hannas Lunge war kaum Wasser. Das spreche nicht für einen „Überlebenskampf“.
11.16 Uhr: Holderle kritisiert im Namen von Hannas Eltern den Verlauf des Prozesses. Verteidigung sei ein hohes Gut. Aber Holderle kritisiert klipp und klar, dass Dinge an die Medien durchgestochen worden waren.
11.19 Uhr: „Noch ein paar Worte an Sie, Frau Rick: Einen früheren Mandanten in das Verfahren einzubringen und in dieselbe Reihe mit den Eltern des Angeklagten zu drapieren – das ist eine eigendarstellerische Inszenierung.“ Ein Stich in die Seele der Eltern von Hanna sei dies. Denn es gehe nicht um Manfred Genditzki oder um sie selbst. „Ein solches Vorgehen … ist einem Organ der Rechtspflege unwürdig.“
11.21 Uhr: Gefährliche Körperverletzung in Tatmehrheit mit Mord, fordert Holderle und schließt sich der Staatsanwaltschaft auch bei der Behandlung im Jugendstrafrecht an. Zehn Jahre, oder bei der besonderer Schwere der Schuld 15 Jahre, sei die Frage. Auch hier schließt sich Holderle dem Antrag von Fiedler an.
[1. Vortrag von RAin Rick]
11.36 Uhr: … Regina Rick startet mit einem Frontalangriff und zitiert aus E-Mails zwischen … Aßbichler und … Fiedler. Jene E-Mails, die Gegenstand des Befangenheitsgesuchs waren. „Mit dieser an Deutlichkeit nicht zu überbietende[n] Präzision“, stehe bereits fest, dass das Urteil schon fest stehe. Rick fordert Freispruch – und setzt sich.
11.45 Uhr: Offenbar war es das von Regina Rick. Sie hat bereits angekündigt, dass Revision beantragt … [werde]. Ihre Strategie dürfte gewesen sein, Gründe für diese Revision zu setzen – etwa durch Beweisanträge. Zum Teil aber auch durch Provokationen. Denn: Lässt sich das Gericht reizen und macht es einen Fehler, dann geht diese Strategie auf.
[Vortrag von RA Baumgärtl]
11.48 Uhr: Nun spricht Pflichtverteidiger … Baumgärtl. Er und auch … Rick seien im Verlauf des Verfahrens bedroht worden. Das war bislang nicht öffentlich geworden. Worin die Bedrohung bestanden habe, dazu sagt Baumgärtl nichts.
11.50 Uhr: Baumgärtl betont, dass es drei verschiedene Ansätze in der Verteidigung gebe, da es sich um drei Anwälte handle. In der Tat konnte man den Eindruck bekommen, dass sich die Verteidiger nicht immer einig waren. Baumgärtl spricht davon, dass die Hauptzeugin Verena R. zur Zeit des angebliche[n] Geständnisses von T. gar nicht in Aschau gewesen sei – „sondern in Siegsdorf“.
11.52 Uhr: Für Baumgärtl ist wichtig: Verena R. habe eine Sprachnachricht an ihre Schwester am 5.10. geschickt und sprach von einem Treffen am 4.10. mit T. – für Baumgärtl ist klar: Das Treffen am 3.10. gab es nicht, es sei ein Irrtum gewesen. Später habe R. das auch in einer Sprachnachricht eingeräumt. „Die gibt es und ist auch zu würdigen“, sagt Baumgärtl. „Eine Verurteilung des Herrn T. kann aufgrund der Aussage von Verena R. nicht erfolgen“, sagt Baumgärtl.
[Vortrag von RA Dr. Frank]
12.01 Uhr: Wird der Angeklagte sich selbst noch äußern? Die Möglichkeit dazu hätte er. Der dritte Verteidiger, Markus Frank, ist erst einmal am Zug. Auch die weiteren Zeugen müsse man kritisch sehen, sagt Frank.
12.03 Uhr: Frank zerpflückt die Aussage von Lea R., die auch beim Tischtennisspielen … dabei war. Dort soll T. [am Auto] von einer ermordeten jungen Frau … gesprochen haben. „Sie hat sich nicht so viel dabei gedacht“ – das findet Frank komisch, so alltäglich seien Morde in Aschau… schließlich nicht. „Es passt schlichtweg nicht zusammen.“ Zumal die anderen Personen, Verena R. und Rafael W., dies nicht so wahrgenommen hätten beziehungsweise sich nicht mehr wirklich erinnern. „Wie viel Wert hat die Aussage?“, fragt Frank.
12.15 Uhr: Lea R. sei auch bei der „vermeintlichen Bedrohung mit dem Messer“ unglaubwürdig gewesen. „Er hat sie einmal so bedroht. Also zum Spaß. Also hat er gesagt“, habe Lea R. ausgesagt. T. soll gesagt haben „Ich bring dich um“. In einem Auto sei das vorgefallen, Lea und T. seien mit Verena in einem Auto gewesen. Später schildere sie es anders, so Frank.
12.17 Uhr: Holderle spricht mit Hannas Vater und schüttelt den Kopf zu Franks Plädoyer. Auch Hannas Vater huscht ein Lächeln über das Gesicht, das man so deuten kann, dass er Franks Aussagen nicht für plausibel hält. Hannas Mutter wirkt immer noch sehr angespannt.
12.18 Uhr: „Jetzt können wir es uns aussuchen“: Jemand sage nicht die Wahrheit. Lea erzähle eine Geschichte von einem Messer, die nicht einmal ihre eigene Schwester bestätige.
12.23 Uhr: Wie komme es dazu, dass sich Verena und Lea widersprechen? Sie hätten miteinander gesprochen, sagt Frank. „Und dann bildet man sich etwas ein“, sagt der Anwalt. Jeder könne sich vertun, aber dann müsse man dazu stehen. Das, was Lea gesagt habe, stimme nicht.
12.25 Uhr: Auch ihre Mutter Angela [habe] zu einer „vermeintlichen Selbstbezichtigung“ des T. auf einer Hausparty bei der Familie R. [ausgesagt]. Der Angeklagte habe sich damals schon als Verdächtiger, ja regelrecht verfolgt gefühlt, daher habe er gesagt: „Dann werd ich’s halt gewesen sein“. Mit der Tat habe das aber laut Frank nichts zu tun.
12.28 Uhr: Nun zerpflückt Frank den Zeugen M. aus der JVA. Der sei schlicht unglaubwürdig und habe nichts zu befürchten durch andere Häftlinge, da er in einem besonders gesicherten Bereich untergebracht sei – anders als es Holderle geschildert hatte. Was stimmt? Frank zitiert, M. sei eine dissoziale Persönlichkeit. „Wir haben es also mit so einem Herrn zu tun“, sagt Frank. Und lässt auch an den Taten von M. natürlich kein gutes Wort.
12.34 Uhr: Versuchte Nötigung, Nötigung und aktuell sitze M. in U-Haft, weil er ein 14-jähriges Mädchen zu sexuellen Handlungen zwingen wollte – und zwar mit der absurden Lüge, er habe Krebs im Endstadium, sagt Frank. Das lässt M. freilich abscheulich aussehen – aber auch unglaubwürdig? Frank findet schon. Ihm fehlen auch die Details in der Aussage von M. zum Geständnis des Angeklagten. Das, was M. sagte, habe er auch aus den Medien haben können.
12.36 Uhr: Für Frank ist auch seltsam, dass T. dem M. die Tat gestanden haben soll, nicht aber seinem Mithäftling und „väterlichen Freund“, Herrn G. Auch dass M. das Geständnis verdrängt habe so lang, findet Frank bemerkenswert. „Warum kommt’s aus der Schublade raus? Das können wir uns ja selbst denken.“ Frank spielt darauf an, dass M. sich einen „Bonus“ bei Richterin Aßbichler erhofft.
12.37 Uhr: Die Kammer hört aufmerksam zu. Sowohl Aßbichler als auch ihre Beisitzer und die Schöffen machen sich viele Notizen. T. hingegen wirkt wieder etwas teilnahmslos. „Keine Verurteilung“ ist die Conclusio von Frank. Nun ist wieder Rick am Zug.
[2. Vortrag von RAin Rick]
12.41 Uhr: Rick zählt nun auf, was noch unplausibel ist aus ihrer Sicht. Hier ein Auszug:
• Dass er Frau W. weder zeitlich noch räumlich hätte wahrnehmen können.
• Dass die Extrarunde eine Erfindung der Polizei ist.
• Dass sich die Gehgeschwindigkeit von Frau W. sowohl aus einer Weg-Zeit-Berechnung als auch anhand der validen Geodaten errechnen lässt. T. hätte es niemals rechtzeitig zum Tatort geschafft.
• Dass sich alles, was sich Staatsanwaltschaft und Gericht „hier ausgedacht haben“, niemals zu bewerkstelligen wäre.
• Dass die Suchbegriffe zur Identifizierung von Gewaltvideos seitens der Polizei eingegeben worden seien.
• Dass Frau W. 2,06 Promille im Blut hatte, mehrfach schwank[t]e, und ihre Hose versuchte zu halten.
• Dass der Gutachter Malcherek zu viel Kontakt zum Biomechaniker Adamec gehabt habe.
• Dass die Risswunden am Kopf nicht von dem gleichen, sondern von einem ähnlich konfigurierten Gegenstand stammen müssen.
• Dass es keinerlei Hinweise auf ein Sexualdelikt gibt.
• Dass es keinerlei (DNA-)Spuren gibt, die Herrn T. mit Frau W. in Verbindung bringen – trotz engen körperlichen Kontakts.
12.45 Uhr: Rick: „Sie haben nichts, was gegen diesen Jungen spricht.“ Sebastian T. will … [nichts] sagen – obwohl er … das letzte Wort hätte. Die Sitzung ist geschlossen. Das Urteil fällt am 19. März. Offenbar sind Freundinnen von Hanna in die Verhandlung gekommen. Hannas Eltern sprechen mit ihnen, umarmen sie.
12.46 Uhr: Die Plädoyers im Hanna-Prozess sind abgeschlossen. Während die Verteidiger von Sebastian T. Freispruch verlangen, fordert die Anklage 9 Jahre und sechs Monate Haft. …
Abendzeitung am 08.03.2024
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