Mit der Rekonstruktion der Ermittlungsschritte gegen Sebastian wollte ich aufzeigen, zu welchem Zeitpunkt welcher Ermittlungsstand vorlag:
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Aktueller Stand:
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Daraus kann die jeweilige Dichte eines Verdachts geschlussfolgert werden und – mit heutigem Wissensstand – abgeleitet werden, welche Chancen eine Haftprüfung schon im Ermittlungsverfahren hätte haben können.
• Messer
• Täterwissen
• Holzuhr
• Kleidung
• Gewaltpornos
• Geständnis
• Obduktion
• weiteres Geständnis
Die Bedrohung Verenas mit einem
Messer – verbunden mit den Worten: „Jetzt könnte ich das gleiche anstellen wie mit dem Mädchen aus Aschau.“ – könnte eher auf maßlos entgleistes, spätpubertäres Imponiergehabe und den untauglichen Versuch eines geschmacklosen Witzes zurückgehen als auf eine ernstgemeinte Attacke. Beweis: psychiatrisches Privatgutachten.
Nach Auswertung der Handy-Daten (einschließlich der Sprachnachrichten) von Verena und Sebastian hätte sich die Annahme, Sebastian habe am 03.10.2022 über
Täterwissen verfügt, schon im Ermittlungsverfahren massiv erschüttern lassen. Zum Beweis: akribisches Aktenstudium und IT-Kenntnisse …
Die erst viel später als Täterwissen interpretierte Einlassung Sebastians bei der Zeugenvernehmung, er vermute einen Stein als Tatwerkzeug, ging allein auf die Frage des Vernehmungsbeamten zurück, wie der Zeuge sich einen Tatablauf vorstellen könne. Die Antwort Sebastians war nicht viel wert, denn längst war öffentlich bekannt, dass das Opfer weder erschossen noch gevierteilt worden war. In Polizeimeldungen war die Rede von „äußerer Gewalteinwirkung“ und ein Unfall wurde nicht ausgeschlossen. Auf die Idee eines Steins hätte jeder andere ebenso kommen können.
An der damals noch von Polizei und StA als tatrelevant bewerteten
Holzuhr konnten m. E. sehr wahrscheinlich im Gehäusespalt DNA-Spuren gesichert werden. Diese stimmen nicht überein mit der DNA von Sebastian. Bis zur Ermittlung des (an einer etwaigen Tat gänzlich unbeteiligten) Eigentümers aus Baden-Württemberg war das für Sebastian ein entlastendes Indiz.
Die bei der Hausdurchsuchung sichergestellte
Kleidung ergab keine tarrelevanten Spuren. Bei Blutspuren ließ sich nicht einmal feststellen, ob es sich um menschliches oder tierisches Blut handelte.
Die Auswertung der drei Handys von Sebastian führte offenbar zu keinerlei tatrelevanten Ergebnissen, zumal Sebastian zur Tatzeit keines davon mit sich führte. Zu den ermittelten
Gewaltpornos lässt sich noch nicht einmal feststellen, welche davon überhaupt abgespielt wurden. Warum ausgerechnet eines dieser Videos Parallelen zum Tatgeschehen aufweisen soll, muss sich ein phantasieüberlasteter StA fragen lassen. Einziger Ansatz: die verblüffende Häufigkeit des Pornokonsums und dessen mit 97 % sehr hoher Anteil an Internetbesuchen. Auch hier: Ein psychiatrisches Privatgutachten der Verteidigung zur Persönlichkeit und Reife Sebastians hätte auch diese dunkle Seite erhellen (und Sebastians Pornokonsum dem der gesamten Altersgruppe gegenüberstellen) können.
Ebenso hätte hinsichtlich der Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit von Sebastians
Geständnis vom 17.11.2022 ein wissenschaftliches Privatgutachten von der Verteidigung eingeholt werden kônnen – eine leichte Übung bei einem Geständnis wie: „Ja, ich sag dann halt irgendwann, dass
ich es war, weil es mir [zu] blöd wird.“
Was geblieben wäre: das
Obduktionsgutachten. Kernpunkte, die auf eine Gewalttat hinweisen könnten: gleichartige Kopfwunden und symmetrisch gebrochene Schulterdächer. Nicht anzusehen ist diesen Verletzungen, wer oder was sie verursacht hat. Es fehlt ein Etikett mit der Aufschrift: „Sebastian war's“.
In einer Gesamtschau kann ich nicht erkennen, dass eine Haftprüfung im Ermittlungsverfahren ganz aussichtslos gewesen sein müsste. Ein entsprechender Antrag aber wurde nach Aussage des Anwalts der Nebenklage von der Verteidigung nie gestellt.
Warum dies unterblieb, ist rätselhaft.
Die Handy-Auswertungen (vor allem zu Sebastian und Verena) und das Obduktionsgutachten waren bei den Akten. Die Verteidigung hatte Akteneinsicht.
Fehlt es einem Juristen an IT-Affinität und eigenem IT-Sachverstand, bemüht er sich nach Kräften, seine Wissenslücken durch Kontakte in seinem persönlichen Umfeld zu schließen. (Beispiel: Ein im Arzthaftungsrecht auf Patientenseite tätiger Rechtsanwalt ist ohne private Kontakte zu Ärzten verschiedener Fachrichtungen aufgeschmissen, auch wenn er das seinen Mandanten nicht wissen lässt. Ein Jurist ohne interdisziplinäre Kompetenzen bleibt ein nackter Mann – trotz Rolex.) Fraglos ist das Durchforsten solcher Auswertungen anstrengend und fordernd, aber von alleine wirft's das Schicksal einem nicht in den Schoß. Wissen ist kein Wunder – sondern Arbeit!
Etwaige Privatgutachten hätte Sebastian selbst finanzieren müssen. Inwieweit diese Gelder im Rahmen der Erstattung der „notwendigen“ Kosten und Auslagen im Falle eines Freispruchs an Sebastian zurückfließen würden, steht in den Sternen. (Ein zuvor bei der StA gestellter und dann ggf. abgewiesener Beweisantrag hätte die Chancen auf spätere Kostenerstattung steigern können.)
Ein kritischer Punkt wären die – bis heute unklaren! – Verletzungsursachen geblieben. Doch wer nicht wagt, kann nicht gewinnen …
(Erschwerend kam nun nach Beginn der Hauptverhandlung die Aussage des Mithäftlings Adrian M. über ein
weiteres Geständnis Sebastians auf den Tisch. Dieses Indiz zu entkräften, bedarf weiterer Beweiserhebung!)
Gründlich zu ermitteln, ob ein alternativer Täter (z. B. eine andere der „priorisierten Personen“), der große Unbekannte oder ein Unfall in Betracht kommen, ist Aufgabe der StA! Die Soko „Club“ war offenbar trotz ihrer zeitweilen hohen Personalstärke unterbesetzt und musste dem geforderten Pensum des „Jahrhundertverfahrens“ hinterherhecheln. Das zeigen insbesondere die mittlerweile ans Licht gekommenen Ermittlungslücken.
Zunächst dachte ich, die (bisherige) Verteidigung verfolge eine vorausschauende Strategie, gepaart mit engagiertem Einsatz. Rückblickend zerfällt diese Vorstellung wie eine leere Illusion. Seit RAin Rick auf den Plan trat, scheint ein wenig Wettbewerbsdenken in die Bude gekomnen zu sein. Schließlich will sich ein „Staranwalt“ aus der Provinz nicht die Butter vom Brot nehmen lassen – schon gar nicht von einer Frau aus Minga.