BAYREUTH/MARKTLEUTHEN. Finale im Fall Peggy. Für die vorerst letzte Soko stehen die Personen fest, die am Verschwinden des damals neunjährigen Mädchens in Lichtenberg beteiligt waren. Zumindest für die Ermittler. Zwar hat das Landgericht Bayreuth entschieden, dass der Verdächtige Manuel S. (41) nicht in U-Haft muss: kein dringender Mordverdacht. Für die Ermittler ist der Beschluss trotzdem ein doppelter Erfolg: Sein inzwischen widerrufenes Teilgeständnis darf verwendet werden. Und das Gericht hält es für glaubhaft: „Täterwissen“.
Irgendwann im Frühjahr vergangenen Jahres stand ein Audi 80 auf dem Hof des Polizeipräsidiums, auffällig goldfarben, Baujahr 1987. Er gehörte Manuel S., der zu diesem Zeitpunkt längst – wieder – im Visier der Ermittler war. Das alte Auto sollte ein Glied in einer Indizienkette gegen S. werden, an dessen Ende ein Haftbefehl stand. Wegen Mordes an der neunjährigen Peggy.
S. gab 2001 an, er sei am Tag des Verschwindens nicht mit dem Auto gefahren. Die Ermittler fanden in den Akten alte Aufnahmen aus der Sparkasse in Lichtenberg. Ein junger, schmächtiger Mann im blauen Pullover und Arbeitshose holt an jenem Montagnachmittag, 7. Mai 2001, um 15.17 Uhr Kontoauszüge, verlässt danach die Bank nach rechts: Manuel S. Kurz danach stößt ein Audi 80 in heller Farbe zurück und fährt weg. Indiz eins, dass S. den Ermittlern nicht die Wahrheit gesagt hatte.
Aber die Ermittler hatten S. im Visier, noch bevor sie das Auto auf den Hof zogen. Es waren mikroskopisch kleine Spuren am Fundort von Peggys sterblichen Überresten im Wald bei Rodacherbrunn. Reste von Farbe, wie sie beim Renovieren von Wohnungen verwendet wird. S. renovierte sein Haus zu der Zeit, als Peggy verschwand.
Und es gab Spuren, die auf Torf und Pflanzen hinwiesen. S. gab 2001 an, er habe mit seiner Mutter am Tag, als Peggy verschwand, Blumen umgetopft. Die Pollen-Spuren waren im Schädel des Mädchens, wie die Staatsanwaltschaft Bayreuth bestätigt. Ein Hinweis darauf, dass Peggy die Pollen zwar eingeatmet hat, aber nicht mehr ausatmen konnte. Das zweite Indiz.
Peggy atmete also noch, als sie mit einem Gegenstand in Berührung kam, auf dem Torf war. Seit Wochen spielen Ermittler vielen Lichtenbergern eine wiederaufbereitete Tonaufnahme von 2002 vor. Es handelt sich um ein inniges Vater-Sohn-Gespräch zwischen Ulvi K. (41) und seinem Vater. Ulvi K. hatte ihn beschuldigt, die Leiche verbracht zu haben, weswegen er im Gefängnis landete. Dort schnitten die Ermittler ein Gespräch zwischen den beiden heimlich mit. 50 Minuten, in denen Ulvi K. beschreibt, wie er Peggy erstickt hat. 50 Minuten, in denen er versucht, seinen Vater davon zu überzeugen, dass Manuel S. dabei war und danach die Leiche in seinem Auto weggeschafft hat.
"Ich schwöre"
Dem Kurier liegt ein Mitschnitt der Aufnahme vor. Immer wieder, teils unter Tränen, beschwört Ulvi K. seinen Vater, der es nicht glauben will, dass Manuel S. dabei war. „Ich schwöre“, sagt er, oder: „Glaub mir, der Manuel war dabei.“ Der Vater, zu dem er ein großes Vertrauensverhältnis hatte, fleht ihn an, die Wahrheit zu sagen. Und dann legt Ulvi K. los.
Er redet schnell, ganz klar, die Stimme steigt an. Er verhaspelt sich nicht, als er erzählt, wie er und Manuel S. auf Peggy warteten, wie sie ihr dann folgten. Es kam zum Streit, sie stießen sie zwischen sich her, Manuel S. gab ihr eine Ohrfeige, sie fiel hin. Manuel S. befahl Ulvi K., ihr den Mund zuzuhalten.
Ulvi K. redet immer schneller, immer deutlicher, als ob er alles noch vor Augen hat. Wie das Mädchen nicht mehr atmete, Manuel S. versuchte, sie wiederzubeleben und sie es an der Burgmauer ablegten, bis Manuel S. mit seinem Auto vorbeikam und sie einwickelte. Und zwar in eine Kompostierplane. Manuel S. betrieb eine Landwirtschaft damals und arbeitete an dem Tag mit Torf gearbeitet. Das ist Indiz Nummer vier.
Indiz Nummer fünf liefert der Wald bei Rodacherbrunn, wo Peggys sterbliche Überreste gefunden wurden. Nach Informationen des Kuriers lagen dort weder Reste ihrer Jacke noch ihrer Hose, ihre Schuhe standen ausgezogen etwa 15 Meter neben der Leiche. All das deutet darauf hin, dass das Mädchen zumindest teilweise ausgezogen wurde.
Möglicher Missbrauch
Was einen möglichen Missbrauch ins Spiel bringt. Genau das, was Ulvi K. und Manuel S. einige Tage zuvor „besprochen“ hatten. Ulvi K. hatte S. in einer Kneipe in Lichtenberg davon erzählt, dass er Peggy missbraucht habe. Dies wolle er auch tun, habe S. gesagt. In seinem Teilgeständnis bestätigte er dies zum ersten Mal seit 18 Jahren.
S. hatte keine Freundin. Und er hatte in seiner Jugend ein sexuelles Verhältnis mit Ulvi K.
Sexuellen Kontakt zu einer Frau hatte er bei einem Bordellbesuch an seinem 18. Geburtstag, der nach seinen eigenen Angaben nicht klappte. Dieses Sexualverhalten von S. war auch den Ermittlern 2002 schon aufgefallen, weswegen er damals in Verdacht geriet.
Vor allem, nachdem er bei einem Ausflug betrunken damit geprahlt hatte, Peggy vergraben zu haben. Die Polizei vernahm ihn fünfmal, er blieb dabei, nichts mit dem Verschwinden Peggys zu tun zu haben. Und ausgerechnet am 12. September 2018 gab er zu, das Mädchen verscharrt zu haben, obwohl er jahrelang Erfahrung im Umgang mit der Polizei hatte und Leugnen gewohnt war. Indiz Nummer sechs.
Die Geschichte, die er jetzt den Ermittlern vor mehreren laufenden Video-Kameras erzählte, war eine andere. Ulvi habe ihn an der Bushaltestelle mitten im Dorf angehalten, als er mit dem Auto unterwegs gewesen sei. Peggy sei tot, Manuel müsse sie wegbringen. Sonst würde Ulvi allen erzählen, sie hätten ein Verhältnis. Also habe S. versucht, sie wiederzubeleben, sie dann in eine Decke gewickelt und ins Auto gelegt. Und dies mitten im Dorf, an einer Bushaltestelle, die als Treffpunkt für Jugendliche galt, die von vielen Bussen angefahren wurde und direkt gegenüber der größten Firma in Lichtenberg lag, mitten im Wohngebiet.
Nach Informationen des Kuriers halten die Ermittler dies für „nicht realistisch“. Das ist diplomatisch für eine glatte Lüge. Vielleicht, um vom eigentlichen Tatort abzulenken. Indiz Nummer sieben. Für die Zeit zwischen 13.24 Uhr, als Peggy zum letzten Mal gesehen wurde, und 15.17 Uhr, als er Kontoauszüge holte, hat er – Indiz Nummer acht – kein Alibi. Und außerdem gab er mal an Peggy nicht zu kennen, ein andermal kannte er sie. Indiz Nummer neun.
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