Profiler Axel Petermann spricht im WELT-Interview über die neuen Ermittlungen im Fall Rebecca Reusch. Warum er das Vorgehen der Polizei kritisch sieht, weshalb es auch ohne Leiche zu einer Anklage kommen könnte – und welche Spuren selbst nach Jahren noch entscheidend sein können.
Artikel anhören
Nutzen Sie die Pfeiltasten um 1 Minute vor- oder zurückzuspulen. Nutzen Sie die Leertaste um die Wiedergabe zu starten oder zu pausieren.
-09:58
Seit mehr als sechs Jahren ist Rebecca Reusch aus Berlin-Neukölln verschwunden – trotz umfangreicher Suchen, auch in Waldgebieten in Brandenburg. Die Ermittler gehen davon aus, dass die damals 15-Jährige getötet wurde. Hauptverdächtiger ist ihr Schwager. Der öffentliche Druck ist groß, den Fall aufzuklären, der bundesweit für Aufsehen sorgte und dies noch immer tut. Bereits 3000 Hinweise gingen in mehr als sechs Jahren bei den Ermittlern ein.
Montag und Dienstag suchte die Berliner Polizei plötzlich wieder mit einem Großeinsatz in Brandenburg nach dem Leichnam oder Spuren von Rebecca. Warum ausgerechnet jetzt, bleibt unklar. Die Antworten von Polizei und Staatsanwaltschaft sind unbefriedigend. Der Fall sei insgesamt noch mal überarbeitet worden, erklärt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Michael Petzold.
Es habe neue Erkenntnisse ergeben, die einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss für die Grundstücke im brandenburgischen Tauche und in Herzberg der Großeltern des Hauptverdächtigen ermöglichten. Die Akte sei erneut geöffnet worden. Doch wie sehen diese Erkenntnisse aus? Hinweise aus der Bevölkerung sollen jedenfalls nicht den Anlass zur Suche auf dem Grundstück gegeben haben. Aus „ermittlungstaktischen Gründen“ könne nicht mehr gesagt werden, auch wollte er keine Auskunft darüber geben, ob ein neues Ermittlerteam auf den Fall angesetzt worden sei.
Lesen Sie auch
21.10.2025, Brandenburg, Tauche: Ein Leichenspürhund durchsucht ein Grundstück in Tauche (Landkreis Oder-Spree). Im Fall der seit mehr als sechs Jahren vermissten Rebecca aus Berlin-Neukölln sucht die Polizei auf einem Grundstück in Brandenburg nach Beweismitteln wegen des Verdachts eines Tötungsdelikts. (zu dpa: «Sogar den Wassertank leergepumpt - Polizei sucht Rebecca») Foto: Christophe Gateau/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Ressort:Panorama
Fall Rebecca
Kindheitsorte des Schwagers im Fokus – Polizei prüft neues Gelände in Brandenburg auf Spuren
Die Rekonstruktion der Ermittler: Rebecca übernachtete in der Nacht zum 18. Februar 2019 bei ihrer Schwester und deren Mann in Britz. In den frühen Morgenstunden kehrte Rebeccas Schwager von einer Feier zurück, die Schwester ging früh zur Arbeit. Als die Mutter anrief, um das Mädchen zum Schulbesuch zu wecken, erreichte sie die Tochter nicht. Der Schwager drückte den Anruf erst weg, sagte dann, das Mädchen sei schon zur Schule gegangen, wo sie nie ankam. Am selben Tag und tags darauf wurde das Auto der Familie, ein himbeerfarbener Twingo, auf der A12 Richtung Polen mithilfe eines Kennzeichenerfassungssystems erfasst – laut Staatsanwaltschaft auch in der Nähe von Tauche und Herzberg, den Orten, die vor wenigen Tagen durchsucht wurden. Außer Rebeccas Schwager hatte nach den Ermittlungen niemand Zugriff auf den Twingo. Eine plausible Erklärung für die Fahrt gab er nicht ab. Er wurde festgenommen, kam aber schnell wieder frei, weil der Ermittlungsrichter keinen dringenden Tatverdacht feststellen konnte. Die Staatsanwaltschaft akzeptierte das nicht und erreichte, dass der Verdächtige in Untersuchungshaft kam, aus der er nach drei Wochen wegen eines fehlenden Tatverdachts entlassen wurde. Rebeccas Schwager blieb aber im Visier der Ermittler.
WELT sprach mit Profiler und Bestsellerautor Axel Petermann über den Fall Rebecca Reusch. Petermann arbeitete 40 Jahre bei der Mordkommission in Bremen und befasste sich mit der Tatmotivation von Mördern. Seit den 1990er-Jahren studierte er dazu die Methoden des FBI.
Lesen Sie auch
ba6aa2c2-292b-4428-8f0a-e9f464a41561
Artikeltyp:AdvertorialEUROJACKPOT
Eurojackpot online spielen
WELT: Der Fall ist mehr als sechs Jahre alt. Nun wurden Areale durchsucht, auf denen die Großeltern des Hauptverdächtigen lebten, nicht weit entfernt von dort, wo nach dem Verschwinden Rebeccas sein Auto erfasst wurde. Warum erst jetzt?
Axel Petermann: Das kann ich nicht von außen beurteilen. Aber es ist schon verwunderlich, dass es sechs Jahre brauchte, um herauszufinden, wo die Großeltern des Hauptbeschuldigten gelebt haben oder Liegenschaften besitzen. Doch man hat es zumindest jetzt untersucht. Das ist auch erst mal schon gar nicht so schlecht.
Profiler Axel Zimmermann ist der Ansicht, die Polizei hätte auch früher das Gelände der Großeltern des Hauptverdächtigen untersuchen können
Profiler Axel Zimmermann ist überzeugt, die Polizei hätte auch früher das Gelände der Großeltern des Hauptverdächtigen untersuchen könnenQuelle: Ralf Gemmecke
WELT: Allerdings gingen Polizei und Staatsanwaltschaft Berlin keinen neuen Hinweisen nach, sondern erklärten, man habe die Akte erneut geöffnet. Warum kommt man jetzt erst zu dem Schluss, dort zu suchen?
Petermann: Wir wissen nicht, wer die Akte geöffnet hat, ob letztendlich der Grund ist, dass neue Ermittler auf den Fall angesetzt wurden, ob es möglicherweise eine Fallanalyse gegeben hat oder neue Ermittler zuständig sind, die noch nicht mit der Aufklärung von Rebeccas Verschwinden befasst waren. Diese müssten das Vorliegende neu bewerten, um gegebenenfalls andere Ansätze bei den Ermittlungen zu bilden. Aus meiner Sicht ist es immer ratsam, bei ungelösten Fällen eine Neubewertung durch bisher noch nicht involvierte Kriminalisten durchzuführen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass diese Methode stets neue Versionen zum Tatgeschehen zeigen und sich dadurch auch weite Ermittlungsansätze ergeben.
Hätte man zum Zeitpunkt von Rebeccas Verschwinden schon von den Liegenschaften in Brandenburg gewusst, die Verwandten gehören, dann hätten diese Durchsuchungen auch schon damals erfolgen können.
WELT: Es ist schwer vorstellbar, dass den Ermittlern der Sachverhalt entgangen sein könnte, dass die Großeltern in Herzberg und in Tauche lebten, zumal man in der Nähe schon einmal gesucht hatte.
Petermann: Es kann ja auch sein, dass dies nicht entgangen ist, sondern, dass man es nicht für nötig erachtete, diese Orte zu untersuchen. Darüber kann man als Außenstehender nur spekulieren. Grundsätzlich sollte man sich als Ermittler gründlich mit der Biografie eines Verdächtigen auseinandersetzen. Dazu gehört, bei Mordermittlungen nachzuforschen, an welchen Orten ein Verdächtiger möglicherweise einen Leichnam, persönliche Gegenstände des Opfers oder auch die Tatwaffe gebracht haben könnte. Man weiß, dass der Hauptverdächtige in diesem Fall ganz offensichtlich nach dem Verschwinden von Rebecca von zu Hause in Richtung polnische Grenze gefahren ist und anschließend wieder zurückfuhr; das ist nicht allzu weit weg von den beiden durchsuchten Orten der letzten Tage, diese liegen südlich von der A12, wo das Auto erfasst wurde.
Der brombeerfarbene Renault Twingo wurde von Rebeccas Schwager am Tag ihres Verschwindens und danach auf der A12 erfasst, die nördlich von dem jetzt durchsuchten Gebiet verläuft
Der brombeerfarbene Renault Twingo wurde von Rebeccas Schwager am Tag ihres Verschwindens und danach auf der A12 erfasst, die nördlich von dem jetzt durchsuchten Gebiet verläuftQuelle: ---/Polizei Berlin/dpa
WELT: Wie gehen zuverlässige Ermittler vor, wenn sie einen Hauptverdächtigen eines mutmaßlichen Mordes im Visier haben?
Petermann: Man steigt in die Biografie des Täters ein und überprüft die Orte, von denen man weiß, dass er sich dort auskennt und dort aufgehalten hat. Jemand, der einen Menschen verschwinden lassen will, wird dabei kein Risiko eingehen wollen, sondern dort hingehen, wo er sich auskennt und wo möglichst wenig Öffentlichkeit hingelangt. Um Anhaltspunkte auf diese Orte zu bekommen, werden seine früheren Kontakte festgestellt und ein Bewegungsprofil dieser Person erstellt. Wo lebte sie und zu wem hatte sie Kontakt? Sicherlich eine Sisyphus-Aufgabe, jedoch eine erforderliche, die auch gemacht werden sollten.
Polizisten durchsuchen das Grundstück in Herzberg, wo einst die Großeltern des Tatverdächtigen gelebt haben
Polizisten durchsuchen das Grundstück in Herzberg, wo einst die Großeltern des Tatverdächtigen gelebt habenQuelle: Christophe Gateau/dpa
WELT: Es gibt einen Hauptverdächtigen und Indizien, eine Rekonstruktion des Morgens. Unvorstellbar, dass es keine Spuren gibt, DNA oder Ähnliches.
Petermann: Rebeccas Spuren werden im ganzen Haus zu finden gewesen sein; auch Haare und Fingerabdrücke. Das besagt aber noch nicht, dass das tatrelevant ist. Auch mögliche Spuren des Schwagers in ihrem Zimmer, vielleicht sogar dort, wo sie übernachtet hat, besagen nichts. Die beiden sollen ja ein gutes Verhältnis zueinander gehabt haben. Da kann man schon mal jemandem gute Nacht wünschen und dabei berühren. Nach der Rekonstruktion der Polizei dürfte die Tat nicht blutig gewesen sein. Das muss sie ja auch nicht. Es gibt viele Delikte der Nähe, bei denen ein Opfer erwürgt oder erdrosselt wird, und Spuren wie etwa Blut fehlen. Sollte Rebecca tatsächlich nicht das Haus ihrer Schwester verlassen haben, so ist nicht auszuschließen, dass nach ihrem Tod aufgrund eines Kontrollverlustes der Täter relativ schnell wieder klare Gedanken fasst, den Leichnam zu einem unbekannten Ort bringt und dabei unbemerkt bleibt.
WELT: Solange der Leichnam oder entsprechende Spuren nicht gefunden werden, wird sich in diesem Fall nichts mehr bewegen, sehen Sie das ähnlich?
Petermann: Das ist nicht gesagt. Es gibt auch reine Indizienprozesse ohne Leiche. Wenn jedes einzelne Indiz für sich allein genommen zwar nicht dazu ausreichen würde, die Schuld zu beweisen, so kann jedoch die Gesamtschau der Indizien ergeben, dass nur der Angeklagte ein Motiv und die Gelegenheit hatte, die vermisste Person zu töten.
Hobbydetektive behindern Polizeiermittlungen
Der Fall der 2019 vermissten Rebecca Reusch animiert immer mehr Hobbyermittler und YouTuber dazu, auf eigene Faust zu ermitteln. „Wir wollten Leute erreichen, die sich aus Angst nicht bei der Polizei gemeldet hatten“, erklärt Hobbydetektiv Jörg.
Quelle: WELT TV
WELT: Im Fall Rebecca Reusch wurden die Indizien für unzureichend bewertet, auch ein Motiv noch nicht deutlich genug herausgestellt. Nicht nur der Leichnam ist verschwunden, sondern auch Kleidung. Wie lange halten sich mögliche Spuren noch für eine Beweisaufnahme?
Petermann: Es hängt von der Art des Beweismittels ab: Würde Rebeccas Leiche gefunden worden sein, dann gäbe es die Gewissheit, dass sie nicht mehr lebt. Die Todesart, also Erstechen, Erschießen, Erschlagen, könnte ebenso wie das Tatwerkzeug festgestellt werden; auch der ungefähre Todeszeitpunkt – lange zurückliegend oder erst kürzlich. Haare oder Fasern an der Leiche könnten zur Identifizierung der Person oder des Textils führen. Auch der Bekleidungszustand könnte etwas über die Tatumstände und zum sogenannten Nachtat-Verhalten aussagen, und auch, ob eventuell ein Sexualverbrechen vorliegt.
Ob sich allerdings noch Verletzungen, wie Zungenbeinbrüche feststellen lassen, hängt sehr vom Einzelfall ab. Unterm Strich sollte man nicht allzu pessimistisch sein, dass man auch nach mehr als sechs oder sieben Jahren noch verwertbare Spuren findet, sollte der Leichnam gefunden werden. Zwei Morde, die ich bearbeitet habe, konnten erst nach 20 beziehungsweise fast 40 Jahren geklärt werden.
Lesen Sie auch
HANDOUT - 25.02.2019, Berlin: Ein Porträt der vermissten 15-Jährigen aus dem Neuköllner Ortsteil Britz. Die 15-Jährige war am Morgen des 18. Februar bei Familienangehörigen im Maurerweg aufgebrochen - in ihrer Schule in der Fritz-Erler-Allee kam sie laut Polizei nicht an. (zu dpa «15-Jährige auf Schulweg verschwunden - Polizei geht Hinweisen nach» vom 24.02.2019) Foto: ---/Polizei Berlin/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit der aktuellen Berichterstattung - nur bis zum Ende der Öffentlichkeitsfahndung der Polizei - und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++
Ressort:Panorama
Schwager unter Verdacht
So geht es heute im Fall Rebecca weiter – „Man findet keine Worte“, sagen Anwohner fassungslos
WELT: Die Staatsanwaltschaft untersucht derzeit Funde der letzten Durchsuchungen. Was lassen sich generell für Rückschlüsse ziehen?
Petermann: Haare an der Leiche könnten Rückschlüsse ermöglichen, auch der Bekleidungszustand könnte etwas beweisen. Die Todesursache und ob ein Sexualverbrechen vorliegt, könnten festgestellt werden. Frakturen, Schädelverletzungen und Zungenbeinbrüche, die beim Erdrosseln entstehen können – ob so etwas noch erkennbar ist, bezweifle ich allerdings.
WELT: Was bedeutet es für den Hauptverdächtigen, wenn sich erneut nichts ergibt?
Petermann: Dies würde seine Position stärken, auch die Unterstützung der Familie womöglich noch untermauern. Die Polizei hat seit mehr als sechs Jahren Indizien gesammelt, die aber nicht ausreichen, um einen dringenden Tatverdacht gegen ihn zu begründen. Andererseits ist es für ihn und auch die Rechtsstaatlichkeit in unserem Land unabdingbar, dass er entlastet und rehabilitiert wird, sollte er unschuldig sein. Machen wir uns doch nichts vor: Er gilt in der Öffentlichkeit als Rebeccas Mörder, egal, wie sehr er beteuert, es nicht zu sein.
https://www.welt.de/vermischtes/plus68f ... uchen.html
Profiler Axel Petermann spricht im WELT-Interview über die neuen Ermittlungen im Fall Rebecca Reusch. Warum er das Vorgehen der Polizei kritisch sieht, weshalb es auch ohne Leiche zu einer Anklage kommen könnte – und welche Spuren selbst nach Jahren noch entscheidend sein können.
Artikel anhören
Nutzen Sie die Pfeiltasten um 1 Minute vor- oder zurückzuspulen. Nutzen Sie die Leertaste um die Wiedergabe zu starten oder zu pausieren.
-09:58
Seit mehr als sechs Jahren ist Rebecca Reusch aus Berlin-Neukölln verschwunden – trotz umfangreicher Suchen, auch in Waldgebieten in Brandenburg. Die Ermittler gehen davon aus, dass die damals 15-Jährige getötet wurde. Hauptverdächtiger ist ihr Schwager. Der öffentliche Druck ist groß, den Fall aufzuklären, der bundesweit für Aufsehen sorgte und dies noch immer tut. Bereits 3000 Hinweise gingen in mehr als sechs Jahren bei den Ermittlern ein.
Montag und Dienstag suchte die Berliner Polizei plötzlich wieder mit einem Großeinsatz in Brandenburg nach dem Leichnam oder Spuren von Rebecca. Warum ausgerechnet jetzt, bleibt unklar. Die Antworten von Polizei und Staatsanwaltschaft sind unbefriedigend. Der Fall sei insgesamt noch mal überarbeitet worden, erklärt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Michael Petzold.
Es habe neue Erkenntnisse ergeben, die einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss für die Grundstücke im brandenburgischen Tauche und in Herzberg der Großeltern des Hauptverdächtigen ermöglichten. Die Akte sei erneut geöffnet worden. Doch wie sehen diese Erkenntnisse aus? Hinweise aus der Bevölkerung sollen jedenfalls nicht den Anlass zur Suche auf dem Grundstück gegeben haben. Aus „ermittlungstaktischen Gründen“ könne nicht mehr gesagt werden, auch wollte er keine Auskunft darüber geben, ob ein neues Ermittlerteam auf den Fall angesetzt worden sei.
Lesen Sie auch
21.10.2025, Brandenburg, Tauche: Ein Leichenspürhund durchsucht ein Grundstück in Tauche (Landkreis Oder-Spree). Im Fall der seit mehr als sechs Jahren vermissten Rebecca aus Berlin-Neukölln sucht die Polizei auf einem Grundstück in Brandenburg nach Beweismitteln wegen des Verdachts eines Tötungsdelikts. (zu dpa: «Sogar den Wassertank leergepumpt - Polizei sucht Rebecca») Foto: Christophe Gateau/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Ressort:Panorama
Fall Rebecca
Kindheitsorte des Schwagers im Fokus – Polizei prüft neues Gelände in Brandenburg auf Spuren
Die Rekonstruktion der Ermittler: Rebecca übernachtete in der Nacht zum 18. Februar 2019 bei ihrer Schwester und deren Mann in Britz. In den frühen Morgenstunden kehrte Rebeccas Schwager von einer Feier zurück, die Schwester ging früh zur Arbeit. Als die Mutter anrief, um das Mädchen zum Schulbesuch zu wecken, erreichte sie die Tochter nicht. Der Schwager drückte den Anruf erst weg, sagte dann, das Mädchen sei schon zur Schule gegangen, wo sie nie ankam. Am selben Tag und tags darauf wurde das Auto der Familie, ein himbeerfarbener Twingo, auf der A12 Richtung Polen mithilfe eines Kennzeichenerfassungssystems erfasst – laut Staatsanwaltschaft auch in der Nähe von Tauche und Herzberg, den Orten, die vor wenigen Tagen durchsucht wurden. Außer Rebeccas Schwager hatte nach den Ermittlungen niemand Zugriff auf den Twingo. Eine plausible Erklärung für die Fahrt gab er nicht ab. Er wurde festgenommen, kam aber schnell wieder frei, weil der Ermittlungsrichter keinen dringenden Tatverdacht feststellen konnte. Die Staatsanwaltschaft akzeptierte das nicht und erreichte, dass der Verdächtige in Untersuchungshaft kam, aus der er nach drei Wochen wegen eines fehlenden Tatverdachts entlassen wurde. Rebeccas Schwager blieb aber im Visier der Ermittler.
WELT sprach mit Profiler und Bestsellerautor Axel Petermann über den Fall Rebecca Reusch. Petermann arbeitete 40 Jahre bei der Mordkommission in Bremen und befasste sich mit der Tatmotivation von Mördern. Seit den 1990er-Jahren studierte er dazu die Methoden des FBI.
Lesen Sie auch
ba6aa2c2-292b-4428-8f0a-e9f464a41561
Artikeltyp:AdvertorialEUROJACKPOT
Eurojackpot online spielen
WELT: Der Fall ist mehr als sechs Jahre alt. Nun wurden Areale durchsucht, auf denen die Großeltern des Hauptverdächtigen lebten, nicht weit entfernt von dort, wo nach dem Verschwinden Rebeccas sein Auto erfasst wurde. Warum erst jetzt?
Axel Petermann: Das kann ich nicht von außen beurteilen. Aber es ist schon verwunderlich, dass es sechs Jahre brauchte, um herauszufinden, wo die Großeltern des Hauptbeschuldigten gelebt haben oder Liegenschaften besitzen. Doch man hat es zumindest jetzt untersucht. Das ist auch erst mal schon gar nicht so schlecht.
Profiler Axel Zimmermann ist der Ansicht, die Polizei hätte auch früher das Gelände der Großeltern des Hauptverdächtigen untersuchen können
Profiler Axel Zimmermann ist überzeugt, die Polizei hätte auch früher das Gelände der Großeltern des Hauptverdächtigen untersuchen könnenQuelle: Ralf Gemmecke
WELT: Allerdings gingen Polizei und Staatsanwaltschaft Berlin keinen neuen Hinweisen nach, sondern erklärten, man habe die Akte erneut geöffnet. Warum kommt man jetzt erst zu dem Schluss, dort zu suchen?
Petermann: Wir wissen nicht, wer die Akte geöffnet hat, ob letztendlich der Grund ist, dass neue Ermittler auf den Fall angesetzt wurden, ob es möglicherweise eine Fallanalyse gegeben hat oder neue Ermittler zuständig sind, die noch nicht mit der Aufklärung von Rebeccas Verschwinden befasst waren. Diese müssten das Vorliegende neu bewerten, um gegebenenfalls andere Ansätze bei den Ermittlungen zu bilden. Aus meiner Sicht ist es immer ratsam, bei ungelösten Fällen eine Neubewertung durch bisher noch nicht involvierte Kriminalisten durchzuführen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass diese Methode stets neue Versionen zum Tatgeschehen zeigen und sich dadurch auch weite Ermittlungsansätze ergeben.
Hätte man zum Zeitpunkt von Rebeccas Verschwinden schon von den Liegenschaften in Brandenburg gewusst, die Verwandten gehören, dann hätten diese Durchsuchungen auch schon damals erfolgen können.
WELT: Es ist schwer vorstellbar, dass den Ermittlern der Sachverhalt entgangen sein könnte, dass die Großeltern in Herzberg und in Tauche lebten, zumal man in der Nähe schon einmal gesucht hatte.
Petermann: Es kann ja auch sein, dass dies nicht entgangen ist, sondern, dass man es nicht für nötig erachtete, diese Orte zu untersuchen. Darüber kann man als Außenstehender nur spekulieren. Grundsätzlich sollte man sich als Ermittler gründlich mit der Biografie eines Verdächtigen auseinandersetzen. Dazu gehört, bei Mordermittlungen nachzuforschen, an welchen Orten ein Verdächtiger möglicherweise einen Leichnam, persönliche Gegenstände des Opfers oder auch die Tatwaffe gebracht haben könnte. Man weiß, dass der Hauptverdächtige in diesem Fall ganz offensichtlich nach dem Verschwinden von Rebecca von zu Hause in Richtung polnische Grenze gefahren ist und anschließend wieder zurückfuhr; das ist nicht allzu weit weg von den beiden durchsuchten Orten der letzten Tage, diese liegen südlich von der A12, wo das Auto erfasst wurde.
Der brombeerfarbene Renault Twingo wurde von Rebeccas Schwager am Tag ihres Verschwindens und danach auf der A12 erfasst, die nördlich von dem jetzt durchsuchten Gebiet verläuft
Der brombeerfarbene Renault Twingo wurde von Rebeccas Schwager am Tag ihres Verschwindens und danach auf der A12 erfasst, die nördlich von dem jetzt durchsuchten Gebiet verläuftQuelle: ---/Polizei Berlin/dpa
WELT: Wie gehen zuverlässige Ermittler vor, wenn sie einen Hauptverdächtigen eines mutmaßlichen Mordes im Visier haben?
Petermann: Man steigt in die Biografie des Täters ein und überprüft die Orte, von denen man weiß, dass er sich dort auskennt und dort aufgehalten hat. Jemand, der einen Menschen verschwinden lassen will, wird dabei kein Risiko eingehen wollen, sondern dort hingehen, wo er sich auskennt und wo möglichst wenig Öffentlichkeit hingelangt. Um Anhaltspunkte auf diese Orte zu bekommen, werden seine früheren Kontakte festgestellt und ein Bewegungsprofil dieser Person erstellt. Wo lebte sie und zu wem hatte sie Kontakt? Sicherlich eine Sisyphus-Aufgabe, jedoch eine erforderliche, die auch gemacht werden sollten.
Polizisten durchsuchen das Grundstück in Herzberg, wo einst die Großeltern des Tatverdächtigen gelebt haben
Polizisten durchsuchen das Grundstück in Herzberg, wo einst die Großeltern des Tatverdächtigen gelebt habenQuelle: Christophe Gateau/dpa
WELT: Es gibt einen Hauptverdächtigen und Indizien, eine Rekonstruktion des Morgens. Unvorstellbar, dass es keine Spuren gibt, DNA oder Ähnliches.
Petermann: Rebeccas Spuren werden im ganzen Haus zu finden gewesen sein; auch Haare und Fingerabdrücke. Das besagt aber noch nicht, dass das tatrelevant ist. Auch mögliche Spuren des Schwagers in ihrem Zimmer, vielleicht sogar dort, wo sie übernachtet hat, besagen nichts. Die beiden sollen ja ein gutes Verhältnis zueinander gehabt haben. Da kann man schon mal jemandem gute Nacht wünschen und dabei berühren. Nach der Rekonstruktion der Polizei dürfte die Tat nicht blutig gewesen sein. Das muss sie ja auch nicht. Es gibt viele Delikte der Nähe, bei denen ein Opfer erwürgt oder erdrosselt wird, und Spuren wie etwa Blut fehlen. Sollte Rebecca tatsächlich nicht das Haus ihrer Schwester verlassen haben, so ist nicht auszuschließen, dass nach ihrem Tod aufgrund eines Kontrollverlustes der Täter relativ schnell wieder klare Gedanken fasst, den Leichnam zu einem unbekannten Ort bringt und dabei unbemerkt bleibt.
WELT: Solange der Leichnam oder entsprechende Spuren nicht gefunden werden, wird sich in diesem Fall nichts mehr bewegen, sehen Sie das ähnlich?
Petermann: Das ist nicht gesagt. Es gibt auch reine Indizienprozesse ohne Leiche. Wenn jedes einzelne Indiz für sich allein genommen zwar nicht dazu ausreichen würde, die Schuld zu beweisen, so kann jedoch die Gesamtschau der Indizien ergeben, dass nur der Angeklagte ein Motiv und die Gelegenheit hatte, die vermisste Person zu töten.
Hobbydetektive behindern Polizeiermittlungen
Der Fall der 2019 vermissten Rebecca Reusch animiert immer mehr Hobbyermittler und YouTuber dazu, auf eigene Faust zu ermitteln. „Wir wollten Leute erreichen, die sich aus Angst nicht bei der Polizei gemeldet hatten“, erklärt Hobbydetektiv Jörg.
Quelle: WELT TV
WELT: Im Fall Rebecca Reusch wurden die Indizien für unzureichend bewertet, auch ein Motiv noch nicht deutlich genug herausgestellt. Nicht nur der Leichnam ist verschwunden, sondern auch Kleidung. Wie lange halten sich mögliche Spuren noch für eine Beweisaufnahme?
Petermann: Es hängt von der Art des Beweismittels ab: Würde Rebeccas Leiche gefunden worden sein, dann gäbe es die Gewissheit, dass sie nicht mehr lebt. Die Todesart, also Erstechen, Erschießen, Erschlagen, könnte ebenso wie das Tatwerkzeug festgestellt werden; auch der ungefähre Todeszeitpunkt – lange zurückliegend oder erst kürzlich. Haare oder Fasern an der Leiche könnten zur Identifizierung der Person oder des Textils führen. Auch der Bekleidungszustand könnte etwas über die Tatumstände und zum sogenannten Nachtat-Verhalten aussagen, und auch, ob eventuell ein Sexualverbrechen vorliegt.
Ob sich allerdings noch Verletzungen, wie Zungenbeinbrüche feststellen lassen, hängt sehr vom Einzelfall ab. Unterm Strich sollte man nicht allzu pessimistisch sein, dass man auch nach mehr als sechs oder sieben Jahren noch verwertbare Spuren findet, sollte der Leichnam gefunden werden. Zwei Morde, die ich bearbeitet habe, konnten erst nach 20 beziehungsweise fast 40 Jahren geklärt werden.
Lesen Sie auch
HANDOUT - 25.02.2019, Berlin: Ein Porträt der vermissten 15-Jährigen aus dem Neuköllner Ortsteil Britz. Die 15-Jährige war am Morgen des 18. Februar bei Familienangehörigen im Maurerweg aufgebrochen - in ihrer Schule in der Fritz-Erler-Allee kam sie laut Polizei nicht an. (zu dpa «15-Jährige auf Schulweg verschwunden - Polizei geht Hinweisen nach» vom 24.02.2019) Foto: ---/Polizei Berlin/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit der aktuellen Berichterstattung - nur bis zum Ende der Öffentlichkeitsfahndung der Polizei - und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++
Ressort:Panorama
Schwager unter Verdacht
So geht es heute im Fall Rebecca weiter – „Man findet keine Worte“, sagen Anwohner fassungslos
WELT: Die Staatsanwaltschaft untersucht derzeit Funde der letzten Durchsuchungen. Was lassen sich generell für Rückschlüsse ziehen?
Petermann: Haare an der Leiche könnten Rückschlüsse ermöglichen, auch der Bekleidungszustand könnte etwas beweisen. Die Todesursache und ob ein Sexualverbrechen vorliegt, könnten festgestellt werden. Frakturen, Schädelverletzungen und Zungenbeinbrüche, die beim Erdrosseln entstehen können – ob so etwas noch erkennbar ist, bezweifle ich allerdings.
WELT: Was bedeutet es für den Hauptverdächtigen, wenn sich erneut nichts ergibt?
Petermann: Dies würde seine Position stärken, auch die Unterstützung der Familie womöglich noch untermauern. Die Polizei hat seit mehr als sechs Jahren Indizien gesammelt, die aber nicht ausreichen, um einen dringenden Tatverdacht gegen ihn zu begründen. Andererseits ist es für ihn und auch die Rechtsstaatlichkeit in unserem Land unabdingbar, dass er entlastet und rehabilitiert wird, sollte er unschuldig sein. Machen wir uns doch nichts vor: Er gilt in der Öffentlichkeit als Rebeccas Mörder, egal, wie sehr er beteuert, es nicht zu sein.
https://www.welt.de/vermischtes/plus68f8f0844fa665dfcbdddb61/fall-rebecca-reusch-schon-verwunderlich-dass-es-sechs-jahre-brauchte-um-diese-areale-zu-durchsuchen.html