von U.s.1 883 » Dienstag, 20. September 2022, 02:35:21
Sprechen Medien und Politiker von mafioser Ökonomie in Europa
so haben sie kriminelle Organisationen im Sinn, die in der einen oder
anderen Weise rechtswidrig wirtschaftlich tätig sind. Von diesen »Ma-
fiosi« grenzen sie die guten Unternehmer ab. Unter denen gebe es
zwar auch schwarze Schafe, und davon auch immer mehr; aber im
Gegensatz zu den ersteren gingen Unternehmer, die sich nicht an die
Gesetze hielten, dennoch ehrbaren Tätigkeiten nach.
Dieses allen vertraute und liebgewonnene Gut-Böse-Schema
stimmt mit der Realität nicht mehr überein - wenn es je ge-
stimmt hat.
Legales und illegales wirtschaftliches Handeln sind inzwischen
komplementäre Größen geworden. Die Zeiten sind vorbei, in denen
man mehr oder weniger scharf die Grenzen ziehen konnte zwischen
den im Rahmen der Gesetze handelnden Wirtschaftssubjekten und
der kriminellen Ökonomie. Heute arbeiten beide Sphären, falls man
sie noch als zwei Sphären bezeichnen kann, nach dem gleichen Pro-
fitmaximierungsprinzip und tummeln sich sowohl im legalen wie im
illegalen Raum. Natürlich sind die Ränder immer noch einigermaßen
scharf markiert - ein Mercedes-Konzern wird zwar Steuern beispiels-
weise durch Gewinnauslagerung hinterziehen, aber er wird die Autos
seiner Konkurrenz nicht klauen und verschieben; Hoechst stellt zwar
weiterhin Arzneimittel her, die als Drogen zu gelten haben, wird des-
halb aber keine strategische Allianz mit den Kartellen in Medelhn
schließen, nur um eine Monopolstellung auf dem Kokainmarkt zu
erzielen. Umgekehrt wird die kalabresische n'drangetha keine größe-
ren Aktienpakete von High-tech schmiedenden Kriegsgerätekonzer-
nen kaufen, nur um ihre Stellung auf dem illegalen Waffenmarkt zu
stärken; und die japanische yakuza steigt nicht persönlich ins Akt
senmaklergeschäft ein, um die Profitmargen ihrer Anteile an Imobilien-
oder Pensionsfonds in die Höhe zu treiben.
Doch wenn man noch vor rund zehn Jahren sagen konnte, das
Illegalen oder als illegal deklarierten Waren und Dienstleistung
handeln kriminelle Organisationen, legale Güter und Produkte dage-
gen werden von den allen bekannten Unternehmen im Rahmen der
allen bekannten Marktwirtschaft produziert und wenneben, dann
stimmt dies so heute nicht mehr. Nicht nur, daß die einen vereinzelte
Ausflüge in das Terrain der Anderen unternehmen, also die »Mafias«
in die als legal definierten Wirtschaftsaktivitäten und die als normal
geltenden Unternehmen in die kriminell gerichteten Aktivitäten,
sondern zwischen diesen Wirtschaftssubjekten haben sich arbeitsteili-
ge Prozesse entwickelt, sowohl komplementärer wie substitutiver
Natur. Verschiebt man seinen Blick von den Rändern weg in die Mit-
te, dort wo das Gros wirtschaftlichen Handelns sich abspielt, so sieht
man sich einer enormen Grauzone gegenüber. Hier sind die Umrisse
von Legalität und Illegalität noch weniger auszumachen als die der
schwarzen Cabs bei dichtestem Nebel in der Londoner City.
Diese Feststellungen sind nicht gerade beruhigend. Sie rufen un-
mittelbar Zweifel und Abwehrreaktionen hervor; denn wenn die
Konturen verschwimmen, breiten sich Orientierungslosigkeit und
Unsicherheit aus. Wenn die Grenzen zwar noch markiert, aber so
verblaßt sind, daß man sie nicht mehr erkennt, so ruft das Ohn-
machtsgefühle hervor. In einer solchen Situation stellt man sich zu-
erst die Frage, ob die getroffenen Behauptungen und Beschreibungen
überhaupt stimmen, und man wird - menschlich, allzu menschlich -
sofort Beispiele suchen und finden, die die Wirklichkeit nicht in ei-
nem gar so neblig grauen Licht erscheinen lassen.
Widerstehen wir einmal dieser Versuchung und betrachten das düstere Gemälde
etwas eingehender. Dann können neue Konturen sichtbar werden; Kontu-
ren, die wie bei einem Bild von Turner unter einem bestimmten
Blickwinkel aus dem Nebel hervortreten.
Nichts wäre gefährlicher, als wenn .dies - legales wie illegales Wirt-
schaften - ununterscheidbar in einem grauen Einheitsbrei ineinander
verschwimmen würde. »Wenn überall Mafia ist, dann ist nichts mehr
Mafia«, lautete eine unserer Parolen in der Anti-Mafia-Bewegung aus
Sizilien.
Auf der Erscheinungsebene mit ihren Einzelfällen wie sie den
Strafverfolgungsbehörden entgegentreten, findet nun beispielweise
in den Polizeiberichten Spaniens und Englands, Deutschlands und
Ostreichs, Frankreichs und Italiens unzahlige Hinweise
Ökonomie. Selbstverständlich sind Unterschiede zwischen der
zemen Ländern sowohl in quantitativer wie qualitativ« Hinsicht
festzustellen, weil Verstöße gegen international gehende Drogenge-
setze beispielsweise in den Niederlanden anders betrachtet und be-
handelt werden als jenseits des Ärmelkanals in Großbritannien.
Andererseits sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaa-
ten der EU auch wiederum nicht so bedeutsam, als daß man von ei-
nem Nord-Süd- oder Ost-West-Gefälle sprechen könnte.
Größere Verschiedenheiten sind bemerkbar, wenn man die Struk-
turen betrachtet, die mafiose Ökonomie in liuropa steuern. Vor al-
lem auf dem Gebiet der organisierten kriminellen Strukturen (zu-
meist reduktiv als »organisierte Kriminalität« aus der Polizeisprache
bekannt) gibt es keine europäische Gleichverteilung. Hier zeigt sich
ein deutliches Übergewicht der drei Organisationen des»mafiosen
Typus« aus dem Mezzogiorno Italiens. Diese Feststellung gilt inzwi-
schen aber nur noch insoweit, als man die in den EU-Mitgliedslän-
dern genuin gewachsenen OK-Strukturen in Betracht zieht. Erweitert
man die Palette um all die OK-Strukturen, die auf europäischem Bo-
den tätig sind, so verschieben sich die Gewichte sogleich beträchtlich.
Ein kurzer Blick auf die Landkarte der organisierten Kriminalität in
der EU macht dies unmittelbar deutlich: Wenn Finnland z.B. wenig
mit südamerikanischen Kokainkartellen in Berührung kommt, aber
dafür um so mehr mit den »roten Mafias« aus der ehemaligen SU, so
kennen Spanien und Portugal kaum tschetschenische oder russische
»Mafiosi«, dafür aber um so mehr Drogenbosse aus Kolumbien; wäh-
rend man in England und den Niederlanden genau weiß fund nicht
nur in für OK zuständigen Polizeikreisen), was chinesische Triaden
sind, verbindet man damit in Italien eher eine neue An von Früh-
lingsrolle. Um zu wissen, was sich vermeintlich oder tatsächlich an
organisierter Kriminalität alles in Deutschland tummelt, muß man
nicht die BKA-Berichte lesen, dazu reicht schon beim Zappen der
kurze Blick in die unzähligen Krimiserien von »Wolfs Revier" oder
»Balko« bis hin zu »Tatort« oder »Polizeiruf 110«. Was die süditalie-
nischen Mafias nahelegen und in Deutschland besonders gut zu beob-
achten ist, ist die Tatsache, daß auch die mafiose Ökonomie Europa
als einen einheitlichen Markt begreift und in ihm mit wachsender Ge-
schwindigkeit länderübergreifend akquiriert, produziert und distribu-
iert. Hochgradig arbeitsteilig, versteht sich; denn auf diesem Markt
hat der kriminelle Handwerker keine Chancen mehr, außer er ist ge-
nial und findet eine profitable Nische.
Wendet man sich der Warenpalette zu, die die mafiose Ökonomie nicht
handhabt,im Angebot hat, so gibt es kaum noch etwas, was nicht illegal ver-
trieben wird und illegal/legal erworben werden kann: Gucci-
Handtaschen und polnische Gänse, afghanischen Haschisch und hai-
tianische Mädchen, brasilianische Papageien und amerikanische
Computersoftwarc, tschechische Maschinenpistolen und japanische
Immobilienfond-Anteile, russisches Plutonium und Parfüm von Car-
din, deutschen Sondermüll, flämische Maler und Erdöl aus Ghana.
Noch gibt es in der kriminellen Ökonomie einige große Misch-
konzerne, wie zum Beispiel die neapolitanische Camorra, die nahezu
mit allem und auf besonderen Wunsch mit dem Ausgefallensten han-
delt, was auf dieser Welt produziert wird. Dabei interessiert es über-
haupt nicht, ob es sich auch um »illegale« Waren handelt. Die Unter-
schiede zwischen legal und illegal werden nur in den Profitraten
sichtbar; es war schon immer etwas teurer, etwas Besonderes zu besit-
zen, und ein höheres Risiko kostet eben auch ein bißchen mehr. Ins-
gesamt hat sich jedoch im letzten Jahrzehnt ein Trend zur Spezialisie-
rung abgezeichnet.
Zwar hat auch das »law enforcement* und seine,
wenn auch noch rudimentäre, internationale Vernetzung dazu beige-
tragen, doch der treibende Motor in dieser Entwicklung waren die
Kosten- und Konkurrenzstrukturen. Es macht neute betriebswirt-
schaftlich keinen Sinn mehr, von der Rohstoffgewinnung über die
Verarbeitung bis hin zum Transport und Vertrieb alles durch eine
Firma abwickeln und kontrollieren zu lassen, besonders wenn die
einzelnen Wirtschaftsstufen auf alle fünf Kontinente und einige Dut-
zend Länder verteilt sind. Die mafiose Ökonomie folgt auch in die-
sem Punkt der allgemein zu beobachtenden Wirtschattsentwicklung.
Was soeben für die Warenpalette testgestellt wurde, gilt mutatis
mutandis auch für die Produktions- und Vertriebsstrukturen. Es wird
zumeist arbeitsteilig global produziert und ebenso vertrieben. Allein
das Heer der »white collar workers-, das in der mafiosen Ökonomie
beschäftigt oder ihr angeschlossen ist, hat sich im Verlaule des letz-
ten Jahrzehnts enorm spezialisiert. Die mit illegalen wattenverkau-
fen vertrauten Anwalts- und Notarsozietäten haben einen solchen
Dschungel von nationalen Gesetzen, europäischen Vorschriften und
internationalen Abkommen zu umgehen, daß sie sich nicht auch
noch ausreichend im Menschen-, Arten- oder Organhandel auskennen
können. Ihr Erlolg (und damit auch ihr Honorar) bemißt sich an ih-
ren Fachkenntnissen und somit daran, wie weit sie das Risiko, daß ei-
ne illegale Transaktion ruchbar wird und in der Öffentlichkeit zu ei-
zu Skandal gemacht werden kann, gegen Null drücken können.
(Apropos: Wenn im illegalen Drogenhandel trotz massiven Einsätze
von Polizei und Zoll die »Aufklärungsrate« offiziellen Angaben zii
folge bei fünf Prozent liegt, so ist sie beim illegalen Waffenhandel
weit unter einem Prozent anzusetzen.)
Aber der Trend zur arbeitsteiligen Spezialisierung ist mein nur ho-
rizontal - d.h. entlang den Produkttypen, .ilso Giftmüll, Kinderpro-
stitution, Autoverschiebung - zu beobachten, sondern in zunehmen-
dem Maße auch vertikal. Ein Beispiel mag genügen, um dies zu ver-
deutlichen.
Beim Autbau »marktwirtschaftlicher Strukturen« in der
ehemaligen UdSSR haben die italienischen Mafias den russischen Ma-
fias tatkräftig zur Seite gestanden, woraus sich strategische Allianzen
entwickelt haben. Inzwischen - einige Entwicklungsstufen können
übersprungen werden - erledigen die »roten Mafias« die Drecksarbeit
im Drogengeschätt. und die dabei verdienten Narkodollars bewegen
die »schwarzen Mafias« aus Palermo, Trapani und Agrigent. Wenn
das Geld zum ersten Mal in hauseigenen Banken im neuen Zarenreich
weißgewaschen ist, läßt es die italienische Mafia über ihre äußerst ver-
sierten Spezialisten, die an allen wichtigen Börsenplätzen der Welt
präsent sind und gediegene Visitenkarten in der Hochfinanz, vorwei-
sen können, mehrmals um den Globus zirkulieren, um es (jeglicher
Herkunft beraubt) profitabel dort in der »legalen Wirtschaft« anzule-
gen, wo sie strategische Positionen erobern möchte oder wo die
höchsten Gewinnraten winken.
Illegales Wirtschaften ist eine Profitmaximierungsstrategie der Ein-
zelkapitale mittels Senkung der Stückkosten im Verhältnis zum ein-
gesetzten Kapital. Läßt man das »illegal« weg, so kann dieser Satz ge-
nauso gut für die legale Wirtschaft stehen. Es muß also ein Zusatz
gemacht werden, der den Unterschied zwischen beiden benennt. Die
Diskriminante konnte man bisher auf die Formel bringen, daß die
mafiose Ökonomie sich zur Senkung der Stückkosten über gesetzli-
che Vorschriften (öffentliche Ausschreibungen. Abspracheverbote,
Tarifverträge, Sozialleistungen, Sicherungsvorschriften am Arbeits-
platz etc.) hinwegsetzte. Inzwischen macht dies in verstärktem Maße,
wie allseits bekannt, auch die legale Wirtschaft. Von »oben« wie von
-unten« zertrümmern diese beiden Akteure mit wachsendem Erfolg
das Regelwerk, die Schutzmaßnahmen und Rahmenbedingungen, die
in Gesetze und Verordnungen gegossen in der Wirtschafl den Schill/
aller Beteiligten sichern und dem Wohl aller dienen sollten. Der im
mer ohnmächtiger werdende Nationalstaat kann da nur hilflos zu-
schauen, wenn er nicht ohnehin beide Augen zudrückt oder, wie be-
kannt, häufig in eine andere Richtung guckt.
Ein Beispiel vermag diesen Zusammenhang vielleicht schneller zu
verdeutlichen als abstrakte Analysen Kampanien, das Land der Ca-
morra um Caserta, Neapel und Salerno, ist die Region feinem deut-
schen Bundesland vergleichbar), die in Italien die höchste Arbeitslo-
senquote aufweist - fast 30 Prozent. Wer das Hinterland am Golf von
Neapel kennt, den werden diese Zahlen nicht verwundern und auch
nicht die Tatsache, daß er wenig Arbeitslose auf den Straßen finden
wird. Denn für einen Arbeitsplatz, der in den letzten anderthalb
Jahrzehnten in der staatlichen und privaten legalen Wirtschaft verlo-
ren ging, schuf - der Euphemismus sei erlaubt - die Camorra andert-
halb neue Jobs in der illegalen Ökonomie. Wobei sich von selbst ver-
steht, daß die neuen, zum Teil offen kriminellen Tätigkeiten in Ent-
lohnung und sozialer Absicherung wenig Ähnlichkeit mit denen ha-
ben, die in gewerkschaftlich ausgehandelten Tarifverträgen niederge-
legt sind. Dieser Boom wurde ermöglicht, weil sich die Camorra
frühzeitig ein Quasi-Monopol auf dem Okosektor gesichert hatte
(vom nationalen/internationalen i [andel mit toxischem Müll über
sogenannte Umweltreparaturen bis hin zur einfachen Abfallbeseiti-
gung). In Kampanien stehen gegenwärtig die Mutterhauser der euro-
päischen Öko-Mafias. Jeder ECU, den die ( )ko-Mafia in den Ländern
der EU verdient, kostet den jeweiligen Staat bzw. dessen Bevölkerung
rund 10 ECU, also das Zehnfache. Über 30 Milliarden DM setzt die-
ser Wirtschaftszweig mit seinem Freiwild .in Lohnabhängigen allein
in Italien um. Es ist damit zum Spitzenreiter der illegalen Ökonomie
in Europa aufgestiegen und rangiert vom Umsatz her weit vor allen
Drogenkartellen zusammengenommen.
Ende Teil 1
Text aus 1997
[color=#40BF00]Sprechen Medien und Politiker von mafioser Ökonomie in Europa
so haben sie kriminelle Organisationen im Sinn, die in der einen oder
anderen Weise rechtswidrig wirtschaftlich tätig sind. Von diesen »Ma-
fiosi« grenzen sie die guten Unternehmer ab. Unter denen gebe es
zwar auch schwarze Schafe, und davon auch immer mehr; aber im
Gegensatz zu den ersteren gingen Unternehmer, die sich nicht an die
Gesetze hielten, dennoch ehrbaren Tätigkeiten nach.
Dieses allen vertraute und liebgewonnene Gut-Böse-Schema
stimmt mit der Realität nicht mehr überein - wenn es je ge-
stimmt hat.
Legales und illegales wirtschaftliches Handeln sind inzwischen
komplementäre Größen geworden. Die Zeiten sind vorbei, in denen
man mehr oder weniger scharf die Grenzen ziehen konnte zwischen
den im Rahmen der Gesetze handelnden Wirtschaftssubjekten und
der kriminellen Ökonomie. Heute arbeiten beide Sphären, falls man
sie noch als zwei Sphären bezeichnen kann, nach dem gleichen Pro-
fitmaximierungsprinzip und tummeln sich sowohl im legalen wie im
illegalen Raum. Natürlich sind die Ränder immer noch einigermaßen
scharf markiert - ein Mercedes-Konzern wird zwar Steuern beispiels-
weise durch Gewinnauslagerung hinterziehen, aber er wird die Autos
seiner Konkurrenz nicht klauen und verschieben; Hoechst stellt zwar
weiterhin Arzneimittel her, die als Drogen zu gelten haben, wird des-
halb aber keine strategische Allianz mit den Kartellen in Medelhn
schließen, nur um eine Monopolstellung auf dem Kokainmarkt zu
erzielen. Umgekehrt wird die kalabresische n'drangetha keine größe-
ren Aktienpakete von High-tech schmiedenden Kriegsgerätekonzer-
nen kaufen, nur um ihre Stellung auf dem illegalen Waffenmarkt zu
stärken; und die japanische yakuza steigt nicht persönlich ins Akt
senmaklergeschäft ein, um die Profitmargen ihrer Anteile an Imobilien-
oder Pensionsfonds in die Höhe zu treiben.
Doch wenn man noch vor rund zehn Jahren sagen konnte, das
Illegalen oder als illegal deklarierten Waren und Dienstleistung
handeln kriminelle Organisationen, legale Güter und Produkte dage-
gen werden von den allen bekannten Unternehmen im Rahmen der
allen bekannten Marktwirtschaft produziert und wenneben, dann
stimmt dies so heute nicht mehr. Nicht nur, daß die einen vereinzelte
Ausflüge in das Terrain der Anderen unternehmen, also die »Mafias«
in die als legal definierten Wirtschaftsaktivitäten und die als normal
geltenden Unternehmen in die kriminell gerichteten Aktivitäten,
sondern zwischen diesen Wirtschaftssubjekten haben sich arbeitsteili-
ge Prozesse entwickelt, sowohl komplementärer wie substitutiver
Natur. Verschiebt man seinen Blick von den Rändern weg in die Mit-
te, dort wo das Gros wirtschaftlichen Handelns sich abspielt, so sieht
man sich einer enormen Grauzone gegenüber. Hier sind die Umrisse
von Legalität und Illegalität noch weniger auszumachen als die der
schwarzen Cabs bei dichtestem Nebel in der Londoner City.
Diese Feststellungen sind nicht gerade beruhigend. Sie rufen un-
mittelbar Zweifel und Abwehrreaktionen hervor; denn wenn die
Konturen verschwimmen, breiten sich Orientierungslosigkeit und
Unsicherheit aus. Wenn die Grenzen zwar noch markiert, aber so
verblaßt sind, daß man sie nicht mehr erkennt, so ruft das Ohn-
machtsgefühle hervor. In einer solchen Situation stellt man sich zu-
erst die Frage, ob die getroffenen Behauptungen und Beschreibungen
überhaupt stimmen, und man wird - menschlich, allzu menschlich -
sofort Beispiele suchen und finden, die die Wirklichkeit nicht in ei-
nem gar so neblig grauen Licht erscheinen lassen.
Widerstehen wir einmal dieser Versuchung und betrachten das düstere Gemälde
etwas eingehender. Dann können neue Konturen sichtbar werden; Kontu-
ren, die wie bei einem Bild von Turner unter einem bestimmten
Blickwinkel aus dem Nebel hervortreten.
Nichts wäre gefährlicher, als wenn .dies - legales wie illegales Wirt-
schaften - ununterscheidbar in einem grauen Einheitsbrei ineinander
verschwimmen würde. »Wenn überall Mafia ist, dann ist nichts mehr
Mafia«, lautete eine unserer Parolen in der Anti-Mafia-Bewegung aus
Sizilien.
Auf der Erscheinungsebene mit ihren Einzelfällen wie sie den
Strafverfolgungsbehörden entgegentreten, findet nun beispielweise
in den Polizeiberichten Spaniens und Englands, Deutschlands und
Ostreichs, Frankreichs und Italiens unzahlige Hinweise
Ökonomie. Selbstverständlich sind Unterschiede zwischen der
zemen Ländern sowohl in quantitativer wie qualitativ« Hinsicht
festzustellen, weil Verstöße gegen international gehende Drogenge-
setze beispielsweise in den Niederlanden anders betrachtet und be-
handelt werden als jenseits des Ärmelkanals in Großbritannien.
Andererseits sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaa-
ten der EU auch wiederum nicht so bedeutsam, als daß man von ei-
nem Nord-Süd- oder Ost-West-Gefälle sprechen könnte.
Größere Verschiedenheiten sind bemerkbar, wenn man die Struk-
turen betrachtet, die mafiose Ökonomie in liuropa steuern. Vor al-
lem auf dem Gebiet der organisierten kriminellen Strukturen (zu-
meist reduktiv als »organisierte Kriminalität« aus der Polizeisprache
bekannt) gibt es keine europäische Gleichverteilung. Hier zeigt sich
ein deutliches Übergewicht der drei Organisationen des»mafiosen
Typus« aus dem Mezzogiorno Italiens. Diese Feststellung gilt inzwi-
schen aber nur noch insoweit, als man die in den EU-Mitgliedslän-
dern genuin gewachsenen OK-Strukturen in Betracht zieht. Erweitert
man die Palette um all die OK-Strukturen, die auf europäischem Bo-
den tätig sind, so verschieben sich die Gewichte sogleich beträchtlich.
Ein kurzer Blick auf die Landkarte der organisierten Kriminalität in
der EU macht dies unmittelbar deutlich: Wenn Finnland z.B. wenig
mit südamerikanischen Kokainkartellen in Berührung kommt, aber
dafür um so mehr mit den »roten Mafias« aus der ehemaligen SU, so
kennen Spanien und Portugal kaum tschetschenische oder russische
»Mafiosi«, dafür aber um so mehr Drogenbosse aus Kolumbien; wäh-
rend man in England und den Niederlanden genau weiß fund nicht
nur in für OK zuständigen Polizeikreisen), was chinesische Triaden
sind, verbindet man damit in Italien eher eine neue An von Früh-
lingsrolle. Um zu wissen, was sich vermeintlich oder tatsächlich an
organisierter Kriminalität alles in Deutschland tummelt, muß man
nicht die BKA-Berichte lesen, dazu reicht schon beim Zappen der
kurze Blick in die unzähligen Krimiserien von »Wolfs Revier" oder
»Balko« bis hin zu »Tatort« oder »Polizeiruf 110«. Was die süditalie-
nischen Mafias nahelegen und in Deutschland besonders gut zu beob-
achten ist, ist die Tatsache, daß auch die mafiose Ökonomie Europa
als einen einheitlichen Markt begreift und in ihm mit wachsender Ge-
schwindigkeit länderübergreifend akquiriert, produziert und distribu-
iert. Hochgradig arbeitsteilig, versteht sich; denn auf diesem Markt
hat der kriminelle Handwerker keine Chancen mehr, außer er ist ge-
nial und findet eine profitable Nische.
Wendet man sich der Warenpalette zu, die die mafiose Ökonomie nicht
handhabt,im Angebot hat, so gibt es kaum noch etwas, was nicht illegal ver-
trieben wird und illegal/legal erworben werden kann: Gucci-
Handtaschen und polnische Gänse, afghanischen Haschisch und hai-
tianische Mädchen, brasilianische Papageien und amerikanische
Computersoftwarc, tschechische Maschinenpistolen und japanische
Immobilienfond-Anteile, russisches Plutonium und Parfüm von Car-
din, deutschen Sondermüll, flämische Maler und Erdöl aus Ghana.
Noch gibt es in der kriminellen Ökonomie einige große Misch-
konzerne, wie zum Beispiel die neapolitanische Camorra, die nahezu
mit allem und auf besonderen Wunsch mit dem Ausgefallensten han-
delt, was auf dieser Welt produziert wird. Dabei interessiert es über-
haupt nicht, ob es sich auch um »illegale« Waren handelt. Die Unter-
schiede zwischen legal und illegal werden nur in den Profitraten
sichtbar; es war schon immer etwas teurer, etwas Besonderes zu besit-
zen, und ein höheres Risiko kostet eben auch ein bißchen mehr. Ins-
gesamt hat sich jedoch im letzten Jahrzehnt ein Trend zur Spezialisie-
rung abgezeichnet.
Zwar hat auch das »law enforcement* und seine,
wenn auch noch rudimentäre, internationale Vernetzung dazu beige-
tragen, doch der treibende Motor in dieser Entwicklung waren die
Kosten- und Konkurrenzstrukturen. Es macht neute betriebswirt-
schaftlich keinen Sinn mehr, von der Rohstoffgewinnung über die
Verarbeitung bis hin zum Transport und Vertrieb alles durch eine
Firma abwickeln und kontrollieren zu lassen, besonders wenn die
einzelnen Wirtschaftsstufen auf alle fünf Kontinente und einige Dut-
zend Länder verteilt sind. Die mafiose Ökonomie folgt auch in die-
sem Punkt der allgemein zu beobachtenden Wirtschattsentwicklung.
Was soeben für die Warenpalette testgestellt wurde, gilt mutatis
mutandis auch für die Produktions- und Vertriebsstrukturen. Es wird
zumeist arbeitsteilig global produziert und ebenso vertrieben. Allein
das Heer der »white collar workers-, das in der mafiosen Ökonomie
beschäftigt oder ihr angeschlossen ist, hat sich im Verlaule des letz-
ten Jahrzehnts enorm spezialisiert. Die mit illegalen wattenverkau-
fen vertrauten Anwalts- und Notarsozietäten haben einen solchen
Dschungel von nationalen Gesetzen, europäischen Vorschriften und
internationalen Abkommen zu umgehen, daß sie sich nicht auch
noch ausreichend im Menschen-, Arten- oder Organhandel auskennen
können. Ihr Erlolg (und damit auch ihr Honorar) bemißt sich an ih-
ren Fachkenntnissen und somit daran, wie weit sie das Risiko, daß ei-
ne illegale Transaktion ruchbar wird und in der Öffentlichkeit zu ei-
zu Skandal gemacht werden kann, gegen Null drücken können.
(Apropos: Wenn im illegalen Drogenhandel trotz massiven Einsätze
von Polizei und Zoll die »Aufklärungsrate« offiziellen Angaben zii
folge bei fünf Prozent liegt, so ist sie beim illegalen Waffenhandel
weit unter einem Prozent anzusetzen.)
Aber der Trend zur arbeitsteiligen Spezialisierung ist mein nur ho-
rizontal - d.h. entlang den Produkttypen, .ilso Giftmüll, Kinderpro-
stitution, Autoverschiebung - zu beobachten, sondern in zunehmen-
dem Maße auch vertikal. Ein Beispiel mag genügen, um dies zu ver-
deutlichen.
Beim Autbau »marktwirtschaftlicher Strukturen« in der
ehemaligen UdSSR haben die italienischen Mafias den russischen Ma-
fias tatkräftig zur Seite gestanden, woraus sich strategische Allianzen
entwickelt haben. Inzwischen - einige Entwicklungsstufen können
übersprungen werden - erledigen die »roten Mafias« die Drecksarbeit
im Drogengeschätt. und die dabei verdienten Narkodollars bewegen
die »schwarzen Mafias« aus Palermo, Trapani und Agrigent. Wenn
das Geld zum ersten Mal in hauseigenen Banken im neuen Zarenreich
weißgewaschen ist, läßt es die italienische Mafia über ihre äußerst ver-
sierten Spezialisten, die an allen wichtigen Börsenplätzen der Welt
präsent sind und gediegene Visitenkarten in der Hochfinanz, vorwei-
sen können, mehrmals um den Globus zirkulieren, um es (jeglicher
Herkunft beraubt) profitabel dort in der »legalen Wirtschaft« anzule-
gen, wo sie strategische Positionen erobern möchte oder wo die
höchsten Gewinnraten winken.
Illegales Wirtschaften ist eine Profitmaximierungsstrategie der Ein-
zelkapitale mittels Senkung der Stückkosten im Verhältnis zum ein-
gesetzten Kapital. Läßt man das »illegal« weg, so kann dieser Satz ge-
nauso gut für die legale Wirtschaft stehen. Es muß also ein Zusatz
gemacht werden, der den Unterschied zwischen beiden benennt. Die
Diskriminante konnte man bisher auf die Formel bringen, daß die
mafiose Ökonomie sich zur Senkung der Stückkosten über gesetzli-
che Vorschriften (öffentliche Ausschreibungen. Abspracheverbote,
Tarifverträge, Sozialleistungen, Sicherungsvorschriften am Arbeits-
platz etc.) hinwegsetzte. Inzwischen macht dies in verstärktem Maße,
wie allseits bekannt, auch die legale Wirtschaft. Von »oben« wie von
-unten« zertrümmern diese beiden Akteure mit wachsendem Erfolg
das Regelwerk, die Schutzmaßnahmen und Rahmenbedingungen, die
in Gesetze und Verordnungen gegossen in der Wirtschafl den Schill/
aller Beteiligten sichern und dem Wohl aller dienen sollten. Der im
mer ohnmächtiger werdende Nationalstaat kann da nur hilflos zu-
schauen, wenn er nicht ohnehin beide Augen zudrückt oder, wie be-
kannt, häufig in eine andere Richtung guckt.
Ein Beispiel vermag diesen Zusammenhang vielleicht schneller zu
verdeutlichen als abstrakte Analysen Kampanien, das Land der Ca-
morra um Caserta, Neapel und Salerno, ist die Region feinem deut-
schen Bundesland vergleichbar), die in Italien die höchste Arbeitslo-
senquote aufweist - fast 30 Prozent. Wer das Hinterland am Golf von
Neapel kennt, den werden diese Zahlen nicht verwundern und auch
nicht die Tatsache, daß er wenig Arbeitslose auf den Straßen finden
wird. Denn für einen Arbeitsplatz, der in den letzten anderthalb
Jahrzehnten in der staatlichen und privaten legalen Wirtschaft verlo-
ren ging, schuf - der Euphemismus sei erlaubt - die Camorra andert-
halb neue Jobs in der illegalen Ökonomie. Wobei sich von selbst ver-
steht, daß die neuen, zum Teil offen kriminellen Tätigkeiten in Ent-
lohnung und sozialer Absicherung wenig Ähnlichkeit mit denen ha-
ben, die in gewerkschaftlich ausgehandelten Tarifverträgen niederge-
legt sind. Dieser Boom wurde ermöglicht, weil sich die Camorra
frühzeitig ein Quasi-Monopol auf dem Okosektor gesichert hatte
(vom nationalen/internationalen i [andel mit toxischem Müll über
sogenannte Umweltreparaturen bis hin zur einfachen Abfallbeseiti-
gung). In Kampanien stehen gegenwärtig die Mutterhauser der euro-
päischen Öko-Mafias. Jeder ECU, den die ( )ko-Mafia in den Ländern
der EU verdient, kostet den jeweiligen Staat bzw. dessen Bevölkerung
rund 10 ECU, also das Zehnfache. Über 30 Milliarden DM setzt die-
ser Wirtschaftszweig mit seinem Freiwild .in Lohnabhängigen allein
in Italien um. Es ist damit zum Spitzenreiter der illegalen Ökonomie
in Europa aufgestiegen und rangiert vom Umsatz her weit vor allen
Drogenkartellen zusammengenommen.
Ende Teil 1
Text aus 1997
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