Das vergiftete Geschenk, vergiftete Grüße
Es läutet an der Türe, der Postler gibt ein Paket ab. Es handelt sich um einen Geschenkkorb mit Lebensmitteln für den prominenten Tanzlehrer Heinz Kern. Dass darin der Tod auf ihn warten sollte, können seine Familie und Freunde bis heute nicht verkraften. Dunkle-Spuren-Reporterin Yvonne Widler hat sich auf eine mysteriöse Zeitreise begeben. Denn der Fall aus Graz liegt schon fast 50 Jahre zurück.
Ein Graphologe hätte das Zeug nicht gegessen. Zwei verschiedene Unterschriften, die sich als eine Person ausgeben, sind völlig absurd. Was das soll, muss mal jemand herausfinden.
Beschäftige mich selbst gerade mit Graphologie, stehe aber noch am Anfang, also alle Einschätzungen unter Vorbehalt. Grundlage der Deutung ist Heinz Dirks: Die Handschrift - Schlüssel zur Persönlichkeit (1974).
Vor der Analyse steht die Frage, ob die verschiedenen Unterschriften von einer oder zwei Personen sind.
Version 1: ein Schreiber
Grund: Täuschungsmotiv, Modus: dass er beide Unterschriften aus dem Kopf zeichnen konnte, halte ich für ausgeschlossen, müsste ein Profi gewesen sein, der die Schriftmerkmale kennt und beide Unterschriften stimmig ersinnt.
Kommt also nur Kopieren infrage. Aus einer Zeitung womöglich. Einen nicht eigenen Duktus zu kopieren wirkt gefälscht. Ist hier nicht der Fall.
Version 1 halte ich folglich für tendenziell ausgeschlossen.
Version 2: zwei Schreiber
Grund: ?, Modus: beide haben mit ihrem Duktus unterschrieben unter Verwendung ausgedachter Namen.
Da ich diese Version für realistisch halte, schau ich mal, was Heinz Dirks zu diesen Persönlichkeiten sagt.
Analyse:
Prämisse der Analyse ist, dass sich die Täter der graphologischen Analysemöglichkeiten nicht bewusst waren und sich ihre Täuschung bereits inhaltlich und durch Verwendung der falschen Namen erschöpft hatte. Dann bliebe der graphologische Befund aussagekräftig.
Im Detail: Darlegung und Unterscheidung der Charaktere
Auffälligkeiten:
- der Wortabstand ist größer als bei gewöhnlichen Unterschriften (versetzte Anordnung der Unterschriften deutet auf 2 Schreiber hin)
- anderer Bewegungsablauf
- Formbild unterscheidet sich
- unterschiedliche Zeilenführung (J:steigend, M: gerade)
- Mautner ist falsch geschrieben (Mautener statt Mautner)
- M setzt optisch einen Anker bei J (Einflussbereich betonen, sich festhaken)
- beide Anstriche bei Josef (J nach oben) und Mautner (M nach oben) sind verblichen
Übereinstimmungen:
bei beiden besteht ein Missverhältnis der Größe durch die Betonung der Unterlängen - bei Josef Anfangs- und Endbuchstabe und beim Anstrich vom M bei Mautner. (Großer Längenunterschied verrät ein starkes Streben. Ziele sind weit gestreckt, es besteht die Bereitschaft, für Ziele viel einzusetzen.)
Josef:
-Schriftlage: gerade (starke Willensimpulse)
-Zeilenführung: steigend (gehobene Stimmung, optimistisch)
-runde Verbindungen der einzelnen Buchstaben (Ungezwungenheit, Mitgehen, Einfühlung, lenkbar, fügsam)
-größere Schriftweite, also Verhältnis der Buchstaben zueinander (aufgeschlossene Zuwendung zur Außenwelt)
-Verschnörkelte Bereicherung beim J (Selbstdarstellung, Selbstgefälligkeit)
-scharf gequerte Unterlänge beim f (Eigenwilligkeit, Durchsetzungsdrang, sozial schwer verträglich) + Unterlänge dreieckig geformt (geltungsbedürftig)
-herausschießende Langlängen: einzelne weitgesteckte Ziele, momentaner Leistungsehrgeiz, evtl. Spekulationslust, Geltung)
Mautner:
-Schriftlage: leicht linksschräg (unnahbar, sich selbst zwingend, starke Willensimpulse)
-am Ende rausgreifender Buchstabe (aus sich heraustretend, Konsequenz, fanatischer Durchsetzungsdrang, Ehrgeiz, Angriffslust, Schärfe, Anecken Endbetonung als Ausdruck unmittelbarer Einwirkung auf die Umwelt)
-Winkelverbindung der einzelnen Buchstaben (Entschiedenheit, Unnachgiebigkeit, Starrsinn)
-Zeilenführung: gerade (Selbstdisziplin, Beständigkeit, zielsicher)
-das expansive M (demonstrierter Griff nach seiner Umwelt, Verdopplung seines Einflusses durch Dopplung der Größe des Namens)
Fazit:
In Anbetracht der herauszulesenden Angriffsabsichten, der Möglichkeit scharfer Maßnahmen und beiderseits starker Werte im Geltungsstreben könnte als vage Vermutung für ein Tatmotiv eine Beziehungstat in den Hintergrund rücken, und stattdessen was Geschäftliches infrage kommen.
Quelle Brief:
https://kurier.at/chronik/oesterreich/d ... /401117265